piwik no script img

„Argentinien ist ein reiches Land“

Pedro Morazán, Schuldenexperte beim Entwicklungsverband Südwind, meint, dass man die Abwertung des Peso für eine Exportoffensive nutzen soll

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Morazán, was würden Sie tun, wenn Sie der Wirtschaftsminister Argentiniens wären?

Pedro Morazán: Als Erstes die Dollarbindung des Peso aufheben, was ja auch schon geschehen ist. Dann müssen die Löhne an die Inflation angepasst werden, damit die Angestellten nicht noch mehr an Kaufkraft verlieren. Ein bisschen Inflation wird es geben, das Null-Inflationsziel des IWF ist illusorisch und außerdem schwachsinnig, es bremst die Entwicklung. Außerdem müssen Kapitalkontrollen eingeführt werden, um das Land vor den Schwankungen zu schützen, die kurzfristige Geldanlagen mit sich bringen. Und Importbeschränkungen.

Währenddessen muss sich die brachliegende argentinische Wirtschaft erholen. Hierfür muss die Investitionspolitik nachfrageorientiert sein. Das Ganze wäre ein neues Modell, eine Art importsubstitiuierende Industrialisierung.

Neu? Das heißt doch, zurück in die 70er-Jahre: Zölle rauf, Grenzen für Importe schließen – und schon damals hat dieses Modell nicht funktioniert.

Damals war die importsubstituierende Industrialisierung vor allem ein Werk der Staatsbürokratie und ausländischer Konzerne. Die haben Produktionsanlagen nach Argentinien ausgeführt, die in Europa schon ausgemustert wurden. In Argentinien spielte es keine Rolle, ob solche Anlagen unmodern waren – es gab ja keine Konkurrenz aus dem Ausland. Jetzt, nach der Abwertung des Peso, können ausländische Produkte sowieso nicht importiert werden, weil sie viel zu teuer sind. Das sollte man ausnutzen, um die Wirtschaft wieder auf die Beine zu kriegen.

Aber es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis andere Länder mit Billigprodukten den Argentiniern Konkurrenz machen.

Das mag mittelfristig passieren. Doch Argentinien hat keine Wahl, es muss sich sofort entscheiden, wie sein Wirtschaftsmodell außehen soll, und da muss es den produktiven Sektor wieder stärken und die Zeit ausnutzen, in der Auslandswaren zu teuer sind.

Trotzdem muss aber Kapital ins Land. Wie sonst soll die Wirtschafte angekurbelt werden?

Durch Exporte. Argentinien ist ein reiches Land. Es hat gute Chancen, Agrarprodukte auf dem Weltmarkt zu platzieren, Rindfleisch und Weizen vor allem. Das würde jede Menge Devisen bringen.

Und wer garantiert, dass die Epxorteure ihr Geld nicht auf einer Bank in Miami anlegen?

Das internationale Finanzsystem muss so umstrukturiert werden, dass die Finanzoligarchien gezwungen werden, ihr Geld ins Land zurückzuholen. Das sind Milliarden von Dollar! Eine ganze Menge, wenn es in neue Maschinen, Fabriken investiert würde.

Warum hat man so stark auf das Auslandskapital gesetzt?

Weil Argentinien gedacht hat, es könnte seinen Schuldenberg durch Zurückzahlung loswerden. Aber die Schulden sind zu hoch. Ihre Rückzahlung würgt jede Entwicklung ab.

So ist es nun mal – Geld, das man ausgeliehen hat, muss man zurückzahlen.

Das stimmt nicht unbedingt: Auch Deutschland wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Londoner Abkommen Schulden erlassen. Sonst hätte es wohl nie ein Wirtschaftswunder gegeben. Hinzu kommt: Es ist zu diskutieren, welche Schulden Argentiniens überhaupt legitim sind.

Sind sie das etwa nicht?

Wenn die korrupten Eliten in Argentinien mit den Gläubigern Verträge unterzeichnen, in denen 30 Prozent Rendite versprochen wird, dann nennt man so etwas Wucher! Es kann doch nicht sein, dass die Steuer zahlenden Angestellten, Arbeiter, Bauern, die Mittelschicht in Argentinien dafür bluten müssen, damit den Kapitalbesitzern – darunter viele reiche Argentinier – solche Renditen gezahlt werden!

Bei wem sollen die Schulden denn abgeschrieben werden?

Es muss ein internationales Insolvenzrecht für Staaten geben. Daraus ist bisher nichts geworden, weil viele Schuldnerländer selbst dagegen sind. Sie haben Angst, dann nicht mehr kreditwürdig zu sein. Mittlerweile fordern sogar Leute im IWF und der US-Finanzminister ein internationales Insolvenzrecht.

Wie würde das funktionieren? Wer ist Schiedsrichter?

Der IWF schlägt einen dreistufigen Plan vor. In der ersten Phase soll das Schuldnerland ein offizielles Moratorium erklären. In der zweiten sollen sich die anderen Gläubiger auf Umschuldungen und Teilerlasse einigen. In der dritten Phase sollen Devisenkontrollen zugelassen werden. Was den Schiedsrichter angeht, hält sich der IWF bedeckt.

Er wäre selbst gern der Schiedsrichter.

Sicher, aber das geht nicht: In Argentinien ist der IWF nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems.

Wie habe ich mir das Insolvenzverfahren vorzustellen? Jeder Gläubiger meldet seine Forderungen beim Gericht an und erhält am Schluss nur einen Teil zurück?

Ja. Bis jetzt ist es ja so, dass zum Beispiel aus den USA Sammelklagen bei US-Gerichten eingereicht werden – und der Schuldner dann nach den Regeln des Gläubigerlandes prozessiert wird. Das ist nicht gerecht. Denn so interveniert der IWF im Interessse der Gläubiger: Er leiht Argentinien neues Geld, damit Argentinier den Gläubigern die Zinsen zahlen kann.

Was sollte er stattdessen tun?

Eigentlich ist der IWF dazu da, die Volkswirtschaft des Landes im Krisenfall mit Geld zu versorgen – für den Eigenbedarf. Was in Argentinien völlig vergessen wurde: Geld ist Zahlungsmittel, Geld ist Investitionsmittel – und nicht in erster Linie ein Spekulationsmittel!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen