: Subversive Entflammungen
Geschichten aus der Zeit, als die Counter Culture anfing: Sarah Schulman besichtigt die verknöcherte McCarthy-Ära und die in sie eingewobenen Schicksale. „Schimmer“, ihr neuer Roman, beschreibt die Vorgeschichte der amerikanischen Gegenkultur
von LUTZ HIEBER
Sarah Schulman hat eine kleine Wohnung im East Village, Manhattan, in einem der sechsstöckigen Häuser mit Flachdach. In diesem Viertel leben viele Künstler. Die Dächer eignen sich im Sommer für Geburtstagsfeten. Einladungen dazu werden üblicherweise vom Hinweis begleitet, dass bei Regen alles ausfällt.
Schulmans sechster Roman „Schimmer“ wurde gerade ausgezeichnet von Stefan Haußmann ins Deutsche übertragen. Das Buch ist aus dem kulturellen Milieu eben des East Village geboren, und es atmet den politischen Aktivismus der jüngsten Vergangenheit – wobei der Blick der Autorin weit in die Vorgeschichte zurückgreift.
Für die Story, angesiedelt in den Jahren 1948 bis 1951, sind drei Protagonisten maßgeblich. Eine der Hauptpersonen ist Sylvia Golubowsky, eine Tochter jüdischer Emigranten. Sie berichtet als – kurz vor der Pensionierung stehende – College-Dozentin aus der Jugendzeit, von ihren damaligen Erfahrungen als aufstiegsorientierte Sekretärin bei einer Zeitung. Der zweite Protagonist ist Austin van Cleeve, der sich rühmt, vor einigen Jahren „Microsoft gekauft zu haben“. Auch er erinnert sich weit zurück, besinnt sich auf die Jahre, in denen er sich als Klatschkolumnist in einem Blatt seines Vaters beschäftigte. Er widmet sich der Macht des Gerüchts, von der er überzeugt ist, dass sie die des Geldes übertrifft.
Der dritte heißt Cal Byfield, der ein Neger-Dramatiker ist – so ausdrücklich im Buch bezeichnet –, geboren in Jamaika und aufgewachsen in Harlem. Er lebt von seiner Arbeit als Koch und ist mit einer Weißen verheiratet. Glücklicherweise hat er unveröffentlichte Memoiren hinterlassen. Seine eigenwillige Enkelin, die Literatur studiert, rezipiert sie für eine Studienarbeit.
Schulmans drei Protagonisten erleben New York in der Ära, die durch die antikommunistische Hetze des republikanischen Senators McCarthy geprägt ist. Naturgemäß divergieren die Perspektiven. Sylvia, Cal und Austin sind Zeugen dieser Vergangenheit. Sylvia befreundet sich mit der Frau von Cal, einer Jazzpianistin. Sie wird am heiß ersehnten Aufstieg von der Sekretärin zur Reporterin gehindert, weil ihr Chef ihren Bruder (dem sie in ihrer Gutmütigkeit bei der Zeitung einen Job verschafft hatte) vorzieht. Tief enttäuscht wird Sylvia zudem noch durch ihre Eltern, die auf diese Benachteiligung noch eins draufsetzen. Denn nach deren Auffassung lief alles richtig: Der Bruder braucht schließlich diesen Job, „weil er eine Familie haben wird“.
Austin, dem Wohlhabenden, bereitet es Vergnügen, den Chef des Blattes am langen Zügel zu führen. Dessen Gattin hat ein Faible für Theaterleute, genießt es, ihre Zeit mit ihnen zu verbringen, und so begegnet sie auch Cal. Nach und nach entsteht ein Bild dieser komplizierten Epoche des konservativen Konformismus, deren Energiezentrum aus der Jagd auf subversive Elemente und kommunistische Unterwanderung gespeist wird.
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In den frühen Neunzigerjahren wurde das Lesbian and Gay Community Services Center ein Zentrum des neu aufflammenden außerparlamentarischen Protestes. Es ist vom East Village aus zu Fuß erreichbar. Der Aktivismus hatte sich die Bekämpfung der Aids-Krise auf die Fahnen geschrieben. Er machte keinen Halt vor Kapitalismuskritik (an den Pharma-Multis), vor Kritik an konservativen Politikern und Kirchenfunktionären (die familiale Wertorientierungen propagierten und Homosexuelle für entbehrlich hielten), vor Kritik an der Bush-Administration (die Aids nicht als politisches Problem, sondern als rein private Angelegenheit betrachtete).
Diese durchsetzungsfähige Bewegung, die weit über New York ausstrahlte, wurde zur Keimzelle weiterer streitbarer Gruppierungen. In diesem Kontext wurde Sarah Schulman Mitgründerin der Lesbian Avengers. Ihren neuen Roman hat sie Carrie Moyer gewidmet, einer Künstlerin. Moyer hat Plakate und Handzettel für die Lesbian Avengers gestaltet.
Demokratien leben davon, dass es kulturellen und politischen Aktivismus gibt, der sich kritisch mit konkreten Konflikten auseinander setzt. Wie Bourdieu zutreffend bemerkt, setzt politische Subversion die kognitive Subversion voraus. Deshalb ist stets der kulturelle Umbruch mit dem politischen verbunden.
Während es im Europa der Neunzigerjahre ziemlich ruhig geblieben ist und sich die großen Parteien auf eine – was immer das sein mag – bürgerliche Mitte orientieren, flammte im kulturellen Zentrum New York der neue Bürgerrechtsaktivismus auf. Er belebte die Ansätze des mittlerweile historisch gewordenen Aufbruchs der Sechzigerjahre wieder. Den neuen Zielen angemessen, wurde jetzt der Protest der vorangegangenen Generation kurzerhand in den Kategorien Klasse, Rasse, Geschlecht und sexueller Orientierung reformuliert. Aus solchen Anstößen kommen die Impulse für eine lebendige Kultur (und eine innovative Ökonomie). Und daraus speist sich auch Schulmans Besichtigung der verknöcherten, erstarrten McCarthy-Ära und der in sie eingewobenen Schicksale.
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Mitten in dieser Ära erstrebt nun Cal, der schwarze Dramatiker, Anerkennung. Er bäumt sich mit aller Kraft dagegen auf, das Negertheater als separaten Bereich aufzufassen – „entweder es ist amerikanisches Theater oder es ist gar nichts“. Das ist eine der Konfliktlinien des Romans. Eine andere ist der Kampf Sylvias, die, als Frau, am beruflichen Aufstieg gehindert wird. Sie fragt – und hier spricht Sarah Schulman selbst –, als sie Jahrzehnte später auf ihre Erfolge zurückblickt, auf ihre in viele Sprachen übersetzten Werke: „Wie ist es möglich, dass jemand so viele Bücher geschrieben hat und noch immer nicht davon leben konnte?“
Eine weitere Konfliktlinie ist der alles überlagernde Nebel der Gesinnungsschnüffelei. 1950 wurde der Subversive Activities Control Board eingerichtet. Austin, der die Erfahrung gemacht hat, dass jemand zu manipulieren auf gewisse Weise große Nähe erzeugt, stellt dem Zeitungschef das Ende seiner Karriere, ein Leben als Unberührbarer in Aussicht, wenn er sich diesem Gebot der Stunde nicht fügen würde. Der Mechanismus, der Presse, Theater, Kino und die gesamte Kultur diesem Sog auslieferte, war so einfach wie wirksam: Kleine Lichter konnten sich Vorteile verschaffen, indem sie andere anschwärzten.
Caroline, die Weiße, mit dem Neger-Autor Cal Verheiratete, bemerkt zu Sylvia: „Nichts kann einem Mädchen wie dir oder mir mehr bieten als New York.“ Sylvia und Caroline verlieben sich. In der Atmosphäre einer Lesbenkneipe, in der Caroline Klavier spielt, denkt Sylvia über Liebe nach. Während andere so tun, als ginge es dabei um Romantik, weiß sie, dass es dabei tatsächlich um etwas Wildes geht. Schiller, der bürgerliche Klassiker, bringt in seinem Lied von der Glocke die Funktion der Ehe auf die Formel: Die Leidenschaft flieht – die Liebe muss bleiben. Dagegen Sylvia: „What I feel about women is animal“ (in Haußmanns Übertragung: „Was ich für Frauen empfinde, ist animalisch“).
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Der Aufbruch der Sechzigerjahre und der Kampf gegen den Vietnamkrieg, das sind Themen, die auch in den USA oft behandelt wurden. Deren finstere Vorgeschichte allerdings kaum. Doch Schulman durchleuchtet sie. Denn die McCarthy-Ära ist eben auch als Vorgeschichte der emanzipatorischen Bewegungen der Sechziger aufschlussreich. Damals verschmolz die sexuelle Befreiung zu einem Amalgam mit der Counter Culture, zur grundsätzlichen Kritik am bürgerlichen Lebens- und Gesellschaftszuschnitt. Sofern die Counter Culture der Neunzigerjahre daran anknüpft, zählt die McCarthy-Ära wiederum auch zu deren Vorgeschichte.
Die sozialen, antirassistischen, feministischen, antihomophoben Errungenschaften der Counter Culture, die das gegenwärtige New Yorker Leben in vielen Facetten prägen, haben intransigente Gegner. Diese sind, das weiß man seit dem 11. September 2001, nicht nur auf die USA beschränkt.
Sarah Schulman: „Schimmer“. Aus dem Amerikanischen von Stefan Haußmann. Argument Verlag, Hamburg 2001, 288 Seiten,10,50 €
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