DIE MUSLIME EMANZIPIEREN SICH VON IHREN ALTEN AUTORITÄTEN: Schächten ist nicht islamistisch
Nein, wer für das Schächten von Tieren ohne vorherige Betäubung ist, muss kein Islamist sein. Die meisten der weltweit 1,3 Milliarden Muslime lassen sich zumindest am islamischen Opferfest einen rituell geschächteten Hammel schmecken. Das gilt, ob mit oder ohne Segen des Bundesverfassungsgerichts, auch für die dreieinhalb Millionen Muslime in Deutschland. Und das, obwohl weder im Koran noch in sonst einer wichtigen islamischen Quelle vorgeschrieben ist, dass das Tier vorher nicht betäubt werden darf. Im Gegenteil: Die Al-Azhar-Hochschule in Kairo und die für Religionsfragen zuständige Behörde in der Türkei haben übereinstimmend festgestellt, dass es auch mit Betäubung geht.
Aber die islamische Gemeinschaft in Deutschland hat diese Rechtsgutachten nicht akzeptiert. Warum aber gehen die Muslime in Deutschland in ihren Forderungen weiter als die Gelehrten in den Zentren der islamischen Welt? Haben sich in Karlsruhe am Ende doch die Maximalisten und Prinzipienreiter, die Islamisten eben, durchgesetzt?
Einiges spricht dafür, dass dies nicht der Fall ist. Denn dass die hiesige islamische Community sich über die Gutachten aus Ankara und Kairo so selbstbewusst hinwegsetzt, symbolisiert einen Abnabelungsprozess weg von den theologischen Autoritäten, während die Traditionen gleichzeitig gewahrt werden. Gerade die Ablehnung der Vorgaben aus Ankara und Kairo verdeutlicht diese Emanzipation, denn die Gelehrten hatten für Muslime in Notlagen gesprochen, die in der Diaspora ihre Riten nicht ausüben können. Die Muslime in Deutschland haben dagegengehalten und argumentieren, dass sie sich keinesfalls in einer Notlage befinden. Deutlicher können sie kaum sagen, dass sie sich der deutschen Gesellschaft zugehörig empfinden. Dass zudem Islamrat und Zentralrat mit einer Stimme gesprochen haben, hat dazu geführt, dass die Muslime als Einheit wahrgenommen wurden. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Islam; und das Eingeständnis, hier angekommen zu sein, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Nicht alle Fragen des Zusammenlebens zwischen Muslimen und Nichtmuslimen werden so einfach zu lösen sein wie der Streit um das Schächten. Im Falle des Islamunterrichts etwa liegen die Hürden viel höher. Aber Islamisten rekrutieren ihre Anhänger aus der Menge jener, denen sie einreden, ein wahres islamisches Leben in Deutschland sei unmöglich. Beim symbolbeladenen Schächten hat sich das Gegenteil gezeigt.
YASSIN MUSHARBASH
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