: Der resignierte kluge Kopf
Wolfgang Wieland (Grüne) war Justizsenator und Bürgermeister der rot-grünen Koalition. Die siebenmonatige Amtszeit blieb jedoch nur ein kurzes Highlight in seiner langjährigen Biografie als Oppositionspolitiker
Wolfgang Wieland ist ein Mann der offenen Worte. „Es ist für uns bitter“, sagt der scheidende Justizsenator. Zehn Jahre hatten die Grünen darauf gewartet, wieder an einer Berliner Stadtregierung beteiligt zu sein – und nach sieben Monaten ist alles schon wieder vorbei. Wenn heute der rot-rote Senat vom Abgeordnetenhaus gewählt wird, müssen die grünen Ressortchefs ihre Posten räumen.
Für niemanden ist das bitterer als für Wieland selbst. Bei dem 53-Jährigen verbindet sich mit dem Projekt einer grünen Regierungsbeteiligung in Berlin eine ganze politische Biografie – anders als für die kurzfristig engagierte Kultursenatorin Adrienne Goehler oder die glücklose Wirtschaftssenatorin Juliane von Friesen. Vor 23 Jahren zählte Wieland zu den Mitbegründern der „Alternativen Liste“, vor 15 Jahren zog er zum ersten Mal ins Abgeordnetenhaus ein.
In den zehn Jahren der großen Koalition zwischen 1991 und 2001 war Wieland geradezu die Verkörperung der Opposition. Er war der einzige Parlamentarier, der dem CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky als Redner, aber auch als analytischer Kopf gewachsen war. Landowsky und Wieland – das waren die beiden Riesen im Zwergenland der Berliner Landespolitik. Die gegenseitige Abneigung hätte größer nicht sein können – ein schwarz-grünes Regierungsbündnis galt in Berlin auch wegen dieser Konstellation als gänzlich ausgeschlossen. Immer wieder attackierte Wieland die Doppelfunktion des Bankers und Politikers. Doch niemand wollte seine Warnungen hören, bis die SPD selbst die Lust an der großen Koalition verlor. Und Landowsky widmete dem Antipoden eines seiner berüchtigten Bonmots: „Marx ist tot, Lenin ist tot – und Sie sehen auch schon ganz blass aus, Herr Wieland!“
Doch die Früchte seiner langjährigen Oppositionsarbeit kann Wieland nun nicht ernten. Statt der Grünen darf jetzt die PDS das Erbe Landowskys antreten. Ein Vorgang, dem man die historische Logik nicht ganz absprechen kann: Auch in seiner Rolle als Widerpart gehörte Wieland zum System Landowsky, und mit dem Abgang des Gegenspielers ist auch seine eigene Rolle geschrumpft.
Wieland war zu klug, um das nicht vorauszusehen, und so umgab ihn schon seit Jahren eine zunehmend resignative Aura. Er musste zusehen, wie seine einstigen Berliner Mitstreiterinnen Renate Künast und Michaele Schreyer in die Bundes- und Europapolitik aufrückten – und wie der Berliner Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele im Scheinwerferlicht der CDU-Spendenaffäre eine zweite Karriere erlebte.
Nur Wieland harrte in der Lokalpolitik aus, während seine Fraktionskollegen kamen und gingen – und im Durchschnitt immer unerfahrener wurden. Er erduldete klaglos, was seine Partei an Folterinstrumenten für die eigenen Spitzenpolitiker bereithält. Aus Rotationsgründen gehörte er dem Parlament ausgerechnet in der Zeit des ersten rot-grünen Senats 1989/90 nicht an, obwohl er an dessen Zustandekommen beteiligt war. Später gab er den Fraktionsvorsitz vorübergehend ab – um ihn später unter weit ungünstigeren Umständen wieder zu übernehmen.
Wer weiß, vielleicht hätte Wieland das Zeug dazu gehabt, zu einer Art Berliner Joschka Fischer zu werden. Aber dazu setzte er sich nicht entschlossen genug über die eigene Partei hinweg – und er hätte es im rückwärts gewandten Berliner Landesverband wohl nicht geschafft. Viele Berliner Grüne trauern noch immer dem alten Westberlin nach – auch darin ist die Partei ein Spiegelbild der CDU. An der „Kreuzberger Kiezverliebtheit“ konnte der Charlottenburger Anwalt manchmal fast verzweifeln. Ganz schlimm kam es bei den Gesprächen über die Ampelkoalition im vergangenen Herbst, bei denen die Grünen ein – so Wieland – „etwas chaotisches“ Bild abgaben. Mit einer ungeschickt inszenierten „Auszeit“ ließen sie sich von der SPD, die ohnehin auf ein rot-rotes Bündnis zusteuerte, die Schuld am Scheitern der Dreierkoalition zuschieben. Zuvor hatten Wieland und seine Mitstreiter nur mit Mühe einen Vorschlag aus den eigenen Reihen abwehren können, die Grünen sollten sich den rot-roten Koalitionären als machtlose Alibipartner aufdrängen.
Doch die künftige Rolle der Grünen ist nicht viel einfacher: Seite an Seite mit CDU und FDP müssen sie gegen einen Senat Opposition machen, dessen Programm dem eigenen sehr ähnelt. Und das, nachdem die quälende Oppositionszeit bereits beendet schien. „In fünf Jahren“, macht sich Wieland Hoffnung, „sind große Entwicklungen in der Parteienlandschaft denkbar.“ Selbst wenn der Wunsch in Erfüllung geht: Wieland wird nicht mehr dabei sein. Spätestens im Verlauf der Wahlperiode, das hat er bereits angekündigt, will er den Fraktionsvorsitz aufgeben. RALPH BOLLMANN
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