: „Symbol der Gemeinschaft“
Wenn sich heute Klaus Wowereit und Gregor Gysi formell die Hand geben, landen sie mit dieser Geste in den Geschichtsbüchern. Dabei haben sich in der Geschichte schon echte Gegner die Hand gegeben
von PHILIPP GESSLER
„Der Sinn des Handschlags ist zweifelhaft“, schreibt der Brockhaus, „er wird entweder als Symbol für eine Haftungsbegründung angesehen oder als Gemeinschaftssymbol.“
Wenn heute der rot-rote Senat vereidigt wird und die beiden Koalitionäre, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein neuer Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS), noch einmal förmlich die Hand geben – wird das Bild dieses Handschlags durch die Welt gehen. Zurecht. Gut zwölf Jahre nach dem Mauerfall kommen die Nachfolger der SED-Herrscher in der einst geteilten Hauptstadt Deutschlands wieder an die Macht. Dabei geht es um „Haftung“ und „Gemeinschaft“: Sozialdemokraten wie Exkommunisten, einer gemeinsamen Geschichte verhaftet, schließen einen Bund, der beide beschädigen wird, so er scheitert. In dieser Schicksalsgemeinschaft werden beide auch für die Fehler des anderen in Haftung genommen werden. Ein gefährlicher Sprung in die (ausführlicheren) Geschichtsbücher.
Und natürlich werden auch deshalb wieder die Bilder des historischen Handschlags zwischen Wilhelm Pieck von der KPD und Otto Grotewohl von der SPD nach dem Zusammenschluss der beiden Parteien zur Sozialistischen Einheitspartei im Admiralspalast an der Friedrichstraße zu sehen sein. Diese (Zwangs-)Vereinigung hatte eine deutliche Mehrheit der Sozialdemokraten in den westlichen Besatzungszonen bei einer Urabstimmung abgelehnt, während in der Sowjetzone Besatzungsoffiziere die Entscheidung über die Fusion verhinderten, indem sie die Wahllokale schließen ließen. Dennoch gaben sich Pieck und Grotewohl öffentlich die Hand – das „Gemeinschaftssymbol“ Handschlag ist in der Politik eben selten ein Symbol wirklicher Gemeinschaft, was auch ein kurzer Blick auf andere berühmte Handschlag-Gesten beweist:
Berühmt-berüchtigt ist der Handschlag – einschließlich eines züchtigen Dieners – des ehemaligen Gefreiten und damaligen Reichskanzlers Adolf Hitler in Potsdam im Schatten der Garnisonkirche beim „Tag von Potsdam“ 1933. Dem Reichspräsidenten und früheren Weltkriegsgeneral Paul von Hindenburg galt die Demutsgeste, die signalisieren sollte und weltweit auch so aufgefasst wurde: Hier findet die Versöhnung der alten preußisch-konservativen Staatselite mit der Proletenpartei der Nazis statt.
Es folgte Weltkrieg und Holocaust, Befreiung und Teilung, Pieck und Grotewohl – und 1981 ein anderer berühmter Handschlag der deutschen Geschichte: DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker gab BRD-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) nicht nur die Hand, sondern auch am Bahnhof von Güstrow ein Hustenbonbon für den Heimweg: Ein Bild, das noch stärker wirkte als das vom Handschlag. Kurze Zeit später diente die Handschlag-Kiste Honecker auch bei einem Empfang mit einer Delegation der Grünen dazu, Punkte für sich zu sammeln: Petra Kelly war dabei – ebenso Antje Vollmer und Otto Schily, heute Bundestagsvizepräsidentin und Bundesinnenminister. Immerhin war auf Kellys weißem T-Shirt mächtig groß das inkriminierte Emblem der unabhängigen DDR-Friedensbewegung zu sehen.
Auch der oberste Kommunistenfresser Franz Josef Strauß (CSU) war sich für Handschläge ähnlicher Natur nicht zu schade: Um einen Milliardenkredit für das marode SED-Regime einzufädeln, traf er sich mit dem „Offizier im besonderen Einsatz“ der Stasi, Alexander Schalck-Golodkowski, 1983 auf einem Landgut. Auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) war noch zwei Jahre vor dem Fall der Mauer bereit, Honecker in Bonn mit militärischen Ehren als Staatsgast zu empfangen. Die Hand hat er ihm da auch gegeben. Nur wollte er nicht, dass dies fotografiert wird. Denn so ein Handschlag wäre nach außen ein viel zu starkes Zeichen gewesen – ein Symbol der Gemeinschaft eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen