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Norwegens Justiz setzt ein Zeichen gegen Rassismus

Für den gemeinschaftlichen Mord an einem 15-Jährigen verurteilt das Landgericht Oslo zwei Skinheads zu Freiheitsstrafen von 16 und 15 Jahren

STOCKHOLM taz ■ Sie hatten sich erst mit „White Power“-Musik in die richtige Stimmung gebracht. Die planmäßige Suche der drei Neonazis nach einem „geeigneten“ Opfer dauerte danach genau noch 12 Minuten. Einige Messerstiche später war der 15-jährige Benjamin Hermansen tot. Ermordet, weil er die „falsche“ Hautfarbe hatte. Tatort: der Parkplatz eines Einkaufszentrums in Oslos Stadtteil Holmlia. Die zwei 20 und 22 Jahre alten Männer und das 18-jährige Mädchen setzten sich ins Auto und fuhren davon. Das war am 26. Januar vorigen Jahres. Gestern verkündete das Landgericht Oslo das Urteil gegen die Skinheads Joe Erling Jahr und Ole Nicolai Kvisler. 16 Jahre Haft für Jahr, 15 für Kvisler.

Staatsanwältin Berit Sagfossen hatte die strengste Strafe gefordert, die das norwegische Strafgesetzbuch kennt: 21 Jahre Haft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Zum einen sei nicht nachweisbar, von wessen Messer die tödlichen Stiche ausgegangen seien, zum anderen sei es ein „Unfall“ gewesen: Benjamin sei in das Messer „gefallen“, das man ihm nur zur Einschüchterung hingehalten habe.

Berücksichtigt man die Erkenntnisse des Obduktionsberichts, müsste er mehrfach hintereinander in verschiedene Messer gefallen sein. Nach Überzeugung des Gerichts haben Jahr und Kvisler beide zugestochen und Benjamin gemeinsam getötet. Veronica Andreassen erhielt drei Jahre Haft. Strafmildernd wirkte sich wohl eine Kooperation mit den Ermittlungsbehörden aus. Die Verteidigung ihrer Mitangeklagten machte Andeutungen über Andreassens mögliche Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz.

Der Mord war nach Meinung des Gerichts „geplant, feige und brutal“. An dem rassistischen Hintergrund könne es keinen Zweifel geben, die Verbindungen aller drei zum militanten neonazistischen Milieu Norwegens seien eindeutig. Zwei Wochen vor der Ermordung Hermansens hatte das Paar Jahr-Andreassen bereits einen Ausländer überfallen und schwer misshandelt. Solche Überfälle waren damals nahezu alltäglich. Viele Jugendliche in den Osloer Einwanderervororten hatten sich schon länger kaum noch getraut, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen. Die Polizei hatte angeblich keine Ressourcen, die BewohnerInnen zu schützen.

Nach der Ermordung Benjamin Hermansens änderte sich das. Norwegen war geschockt. Es gab große antirassistische Demonstrationen – die größten Kundgebungen seit 1945, anlässlich der Befreiung von Hitlers Besatzungstruppen. „Es ist typisch norwegisch, gut zu sein“: dieser Ausspruch von Expremierin Gro Harlem Brundtland und andere nationalistische Aussagen bekamen einen gefährlichen Beiklang. Das in UN-Listen über die „besten Länder zum Leben“ regelmäßig ganz oben aufgeführte Land war damit konfrontiert, doch nicht perfekt zu sein.

Doch die Betroffenheit war von begrenzter Dauer. Seit Oktober letzten Jahres stützt sich erstmals eine norwegische Regierung mit der Fortschrittspartei auf einen offen ausländerfeindlichen Mehrheitslieferanten. Die staatliche Medienverwaltung hat dem nationalistischen Lokalradio „Nite Rocket“, das Hitler-Reden, rassistische Musik und Gewaltaufforderungen sendet, eine neue Konzession erteilt.

Für die Jugendlichen in Holmlia scheint der „Alltag“ zurückgekehrt. Anwar, 15 Jahre alt: „Kommt ein Auto, das irgendwie verdächtig aussieht, laufen wir weg. Allein nach Hause geht keiner mehr.“ An die Laderampe des Supermarkts „Spar Holmlia“, wo Benjamin starb, haben seine Freunde einen Spruch gemalt: „An euch Nazis: Auch wenn ihr Bennys Herz getötet habt, er lebt in uns weiter.“ REINHARD WOLFF

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