piwik no script img

Kurt Bodewig stört die Nachtruhe

Umweltminister Jürgen Trittin scheitert mit seiner Fluglärmnovelle, weil der sozialdemokratische Verkehrsminister nicht will. Eine Vermittlung des Kanzleramtes Mitte September kam nicht zustande – offiziell aus Terminnot nach den Terroranschlägen

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Da half auch die Intervention der SPD-Fraktion nichts mehr: Die Fluglärmnovelle ist gescheitert. Noch ist es zwar nicht offiziell, und am liebsten würde es auch keiner in der Bundesregierung laut sagen. Doch aus gut unterrichteten Kreisen im Bundesumweltministerium erfuhr die taz, dass man dort das Gesetz aufgegeben hat: „In dieser Legislaturperiode ist das nicht mehr durch Bundestag und Bundesrat zu bringen.“ Verkehrsminister Kurt Bodewig hat die Novelle in aller Seelenruhe ausgesessen.

Und was schert einen Minister schon der Wille des Gesetzgebers, der Bundestagsfraktionen? Denn sowohl Grüne als auch Sozialemokraten drängen seit Monaten auf einen Kabinettsbeschluss. Die Vorlage hatte Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) bereits vor zwei Jahren gegeben, mit der Veröffentlichung seines Eckpunktepapiers. Das sollte künftig mehr Anwohnern an Flughäfen das Recht auf belüfteten Schallschutz geben – vor allem zum Schutz von deren Nachtruhe. Kein radikaler Entwurf: Weder waren Lärmbeschränkungen für Flugzeuge noch Nachtflugverbote vorgesehen.

Mehrfach kam Trittin dennoch seinem Kabinettskollegen entgegen. Einem Kompromissvorschlag der SPD-Fraktion weitgehend folgend erreichten die beiden Ministerien im Spätsommer sogar einen Kompromiss auf Staatssekretärsebene; doch dann pfiff Bodewig seinen Staatssekretär Ralf Nagel zurück.

Jetzt sollte das Kanzleramt schlichten, ein Termin war am 19. September angesetzt. Doch dann krachten zwei Flugzeuge ins Herz New Yorks. Und von Stund an fand Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier keine Zeit mehr für hiesigen Fluglärm. Was anfangs sehr verständlich war, dauert merkwürdigerweise bis heute an. In der Zeit fand zum Beispiel Hans Martin Bury, Staatsminister im Kanzleramt, Zeit genug, die Fluglärmnovelle stolz als rot-grünes Projekt in seine „Nachhaltigkeitsstrategie“ zu schreiben, die er Mitte Dezember vorstellte.

Je nach Fraktionszugehörigkeit wird die Schuldfrage allerdings unterschiedlich beurteilt. Die federführende SPD-Abgeordnete Anke Hartnagel spricht milde von den „Mühlsteinen des Afghanistankonflikts“, zwischend die die Novelle „gerutscht“ sei. Der grüne Umweltpolitiker Winfried Hermann ist dagegen sauer auf das zurückhaltende Kanzleramt und noch mehr auf Bodewig. „Am Ende mussten die nur noch das Jahr 2001 verstreichen lassen, um dann sagen zu können, jetzt ist es nicht mehr möglich“, schimpft Hermann. „Und der Verkehrsminister hat sich zum Lobbyisten der Flughäfen aufgespielt.“

Hartnagel will die Kritik an ihren Parteifreunden so streng nicht gelten lassen: Man könne die Schuld nicht bei einer Person suchen, schließlich hätten auch die Bundesländer „starken Gegenwind“ entfacht. Sicher habe die Krise der Fluggesellschaften und die Pleite von Swissair nach den Terroranschlägen die Lage nicht einfacher gemacht.

Dabei hätten die Flughäfen die Mehrkosten für Lärmschutz leicht auf die Fluggäste umwälzen können. Der Aufschlag von vielleicht zwei, drei Euro wäre sicher jedem Fluggast vermittelbar gewesen, heißt es einhellig aus den Fraktionen. Und auch die ADV, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen, war zwar anfangs auch für weniger strenge Auflagen, ist mit dem Scheitern der Novelle des 30 Jahre alten Fluglärmgesetzes auch nicht so glücklich, wie der Verband gegenüber mehreren Abgeordneten deutlich machte. Denn nun regeln weiter die Gerichte den Lärmschutz. Dort ist man schon lange der Ansicht, dass das geltende Gesetz veraltet ist – und legt eigene Maßstäbe an. Eine gehörige Rechtsunsicherheit, die auch die Flughafenbetreiber verunsichert.

Ein Drittel der Deutschen fühlt sich laut Umweltbundesamt durch Fluglärm belästigt. Hartnagel will an dem Thema dranbleiben. Sie will nun zumindest noch ein Fraktionspapier verabschieden: „Damit wir in der nächsten Legislaturperiode nicht wieder bei null anfangen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen