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Der Diplomat im Wahlkampf

Die grüne Basis hat kaum Bedenken gegen den Spitzenkandidaten Fischer. Damit kommt die Partei dem Abschied von der Doppelspitze näher

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Die Krawatte blieb an, anders als auf Parteitagen. Aber die diplomatischen Pflichtfalten sind wie herausgebügelt aus dem bekanntesten Grünen-Gesicht der Republik. Joschka Fischer strahlt. Gerade hat ihn seine Partei offiziell zu ihrem wichtigsten Mann ausgerufen. Es ist eine Premiere, auf die er schon lange gewartet hat: „Ich dürste danach, dass ich aus der Rolle des Diplomaten rauskann.“

Zum Schluss gab es eine Gegenstimme im Parteirat, von Astrid Rothe aus Thüringen. Wichtiger noch als die große Mehrheit in den Gremien war jedoch, wie der öffentliche Widerstand in den vergangenen zwei Wochen ausgefallen war: Es gab fast keinen.

Bewusst hatten die grünen Spin-Doctors die Idee einer Spitzenkandidatur Fischers frühzeitig ventiliert. Niemand in der Partei sollte hinterher behaupten können, überfahren worden zu sein. Doch abgesehen von der Forderung der Berliner Landesmitgliederversammlung, Fischer die Berlinerin Renate Künast zur Seite zu stellen, schien die Basis kaum Bedenken gegen Joschka, den Solitär zu haben. Dem Ende der Doppelspitze dürfte die Partei damit auch in anderen Funktionen, von der Fraktion bis zur Partei, näher gekommen sein.

Gestern bot Berlin ein kurioses Crossover. In einem eigens angemieteten Museumssaal verkündeten die einstigen grünen Doppelspitzenexperten, künftig mit einem alleinigen Spitzenkandidaten auftreten zu wollen. Gleichzeitig versuchen die Unionsparteien, mit ihrer Doppelspitze wider Willen zurechtzukommen. In den Morgensendungen mühten sich Herr Stoiber und Frau Merkel noch zu klären, ob die jüngsten steuerpolitischen Einlassungen der einen Parteichefin nun denen des anderen Parteichefs widersprachen oder nicht. Fischer streute derweil mit großer Selbstverständlichkeit CDU-Vokabeln in seine Statements ein. Die „neue Geschlossenheit“ der Grünen freue ihn ganz besonders.

Den Vorwurf, die Frauen kämen zu kurz, will die Partei nicht gelten lassen. Auf der Bühne im Museum „Hamburger Bahnhof“ wurde Fischer von einem sechsköpfigen Wahlkampfteam umringt. Dazu zählen die Parteichefs Claudia Roth und Fritz Kuhn, die Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller und Rezzo Schlauch sowie die Minister Renate Künast und Jürgen Trittin. „Wissen Sie, wie Wildgänse ihr fernes Ziel erreichen?“, half Künast allen nach, die sich auf die Kombination aus Spitzenkandidat und Team noch keinen Reim machen konnten: „Im Formationsflug.“

Joschka Fischer machte in seiner ersten kurzen Rede klar, dass er sich vor allem als Gegenspieler zu Stoiber sieht. Gleichzeitig erklärte er: „Mir geht es nicht darum, Herrn Stoiber nach rechts zu schieben.“ Das stimmt nur zur Hälfte. Soweit die grüne Strategie überhaupt schon ablesbar ist, lautet sie: Wenn Stoiber ankündigt, rot-grüne Projekte nach einem Wahlsieg zu kassieren, schimpfen die Grünen ihn einen Polarisierer. Will er nur manches besser machen, wird er als Hasenfuß dargestellt.

Aus der Kontroverse um Fernsehduelle zwischen Stoiber und Kanzler Gerhard Schröder will der grüne Spitzenkandidat sich allerdings heraushalten. „Ich ziehe die demokratische Kontroverse vor, da zersäbelt man sich nicht“, spottete er gestern. Dahinter steht die Furcht, als Vertreter einer 7-Prozent-Partei in der Rivalität der Kanzlerkandidaten nur verlieren zu können. Über Koalitionen können Schröder und Stoiber ohnehin nicht befinden, meint Fischer. Damit macht er auch seinen Mitgliedern Mut: „Die Entscheidung wird nicht zwischen den beiden Großen fallen, sondern zwischen den Kleinen.“

Bedeutsamer als Fischers Gesicht auf den Plakaten, daraus machen seine Getreuen keinen Hehl, könnte seine innerparteiliche Rolle bis zur Wahl sein. Vor allem beim Zuwanderungsgesetz kommt auf ihn eine schwierige Aufgabe zu. Will die Partei einem solchen Gesetz als Glanzpunkt der ersten rot-grünen Koalition noch zur Mehrheit verhelfen, wird sie um Zugeständnisse an die Union im Bundesrat nicht herumkommen. Für die Verabreichung dieser bitteren Pille wird dann der Mann zuständig sein, der sich schon mal scherzhaft Doktor Joseph Fischer nennt.

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