piwik no script img

Der Schnappschuss wird zur Ikone

Politisch korrektes Flaggehissen: In New York gibt es Streit um das Denkmal für die umgekommenen Feuerwehrmänner. Das Foto, das für die Skulptur die Vorlage liefert, erinnert an eine andere berühmte Fotografie, mit der es ebenfalls Probleme gab

von THOMAS GIRST

Am 23. Februar 1945 schoss Joe Rosenthal das Foto seines Lebens. Der Fotograf der Associated Press hielt den Augenblick fest, als fünf US-Marines und ein Navy-Sanitäter auf Mount Suribachi die US-Flagge hissen. Beim Kampf um die strategisch wichtige Pazifikinsel Iwo Jima verloren 23.000 japanische und 7.000 amerikanische Soldaten ihr Leben. Drei der mit dem Rücken zur Kamera gewendeten, später aber identifizierten Männer kamen kurz nach dem Aufrichten der Flagge ebenfalls um. Nur zwei Tage nachdem das Bild in den USA zum ersten Mal publiziert wird, fordern US-Senatoren die Errichtung eines auf dem Foto basierenden Nationaldenkmals. Rosenthals Schnappschuss machte Furore, er selbst erhielt den Pulitzerpreis. Allein bis zum Kriegsende wurde das Bild über fünf Millionen Mal auf Postern und Karten reproduziert. Bis heute greifen es Kunst wie Werbung immer wieder auf. Schon 1954 konnte Präsident Eisenhower auf dem Washingtoner Arlington Friedhof eine auf dem Foto basierende monumentale Skulptur einweihen. Mit einer Höhe von knapp 25 Metern ist sie die größte Bronzeskulptur der Welt und nur das erste von Dutzenden Denkmälern, das sich in seiner Ikonografie auf das spezifische Ereignis vom 23. Februar 1945 bezieht. Die nach Rosenthals Bild entworfenen Denkmäler entsprechen dem Foto genau. Seit einiger Zeit aber ist allgemein bekannt, dass das Foto gestellt ist. Zwei Stunden nach dem eigentlichen Hissen der Flagge auf Iwo Jima wurde die Handlung für den Fotografen mit einer anderen Flagge als tableau vivant nachgestellt.

Am 11. September 2001 schoss Thomas E. Franklin das Foto seines Lebens. Der Fotograf einer Lokalzeitung aus New Jersey hielt jenen Augenblick fest, als drei Feuerwehrmänner bei Ground Zero die US-Flagge histen. Mehrfach von den Einsatzkräften gewarnt, das Gebiet sofort zu verlassen, ist Franklin am Nachmittag der Katastrophe nur einer von zwei Fotografen, die sich in unmittelbarer Nähe des eingestürzten World Trade Centers aufhalten. Mit einer Digitalkamera zoomt er aus knapp 150 Meter Entfernung auf die Feuerwehrleute und drückt rund zehnmal den Auslöser. Die Parallelen zum Foto von Iwo Jima sind verblüffend. Beide Male bestimmt die Diagonale der improvisierten Fahnenstange den Bildaufbau, die US-Flagge weht 1945 nur leicht flatternd vom Kraterrand des Mount Suribachi, 2001 von einem etwa sieben Meter hohen Schutthaufen. Und Franklins Foto macht ebenso schnell die Runde wie seinerzeit Rosenthals. Als letzte Woche in der Vanderbilt Hall der New Yorker Grand Central Station die Ausstellung „Faces of Ground Zero“ eröffnete, zeigte eines der 87 lebensgroßen Polaroidporträts Thomas E. Franklin, mit dem um den Hals baumelnden Mundschutz und der Abbildung seines berühmten Fotos in der Hand. Auch auf die Bronzestatue muss man nicht länger warten. Über sechs Meter hoch soll sie sein und in der Eingangshalle der Fire Department Headquarters in Brooklyn eingeweiht werden.

Dass schnell ein Denkmal her muss, und wenn auch nur ein vorübergehendes, ist allen klar. Immer lauter fordern das auch die Meinungsseiten der New York Times. Angehörige der Opfer betrachten die sieben Hektar Ausgrabungsfläche im Süden Manhattans als offenes Grab und äußern ihren Unmut über die vor knapp einem Monat erbaute Aussichtsplattform für Touristen, die sie als Zumutung empfinden. Drei weitere sollen trotzdem folgen, nicht zuletzt um den Besucherstrom zu kanalisieren. Dieser Tage, da das Gewicht des insgesamt von Ground Zero abtransportierten Schutts die 1-Millionen-Tonnen Grenze überschreitet, weiß man auch, dass die Aufräum- und Bergungsarbeiten bereits im Juni und damit viel früher als erwartet abgeschlossen sein werden. Als scheidender Bürgermeister war es für Giuliani ein Leichtes zu proklamieren, die ganze Fläche sei nicht zu bebauen und ausschließlich als Gedenkstätte zu nutzen. Bloomberg kann das als neuer Mayor New Yorks nicht einlösen. Milliardenlöcher im Haushalt, macht er keinen Hehl daraus, dass die Fläche zur wirtschaftlichen Nutzung zumindest teilweise benötigt wird.

Die auf Franklins Foto basierende Skulptur kann den Wunsch nach einem Übergangs-Denkmal ohnehin nicht erfüllen. Sie ist einzig zum Gedenken an die 343 umgekommenen Feuerwehrmänner gedacht. Doch selbst aus den Reihen des Fire Department wird Kritik laut. Denn die drei weißen Kollegen, die im Foto die Flagge hissen, sind in der Statue zu einem weißen, einem schwarzen und einem hispanischen Feuerwehrmann transformiert. Die Entscheidung dazu fiel nicht leicht und die Enttäuschung geht weit über den Missmut dreier Feuerwehrleute hinaus, die sich in Franklins Foto wiedererkannten. Von 11.500 Angestellten des New York Fire Department sind nur 2,7 Prozent Afroamerikaner und 3,2 Prozent Hispanics. Auf der einen Seite begrüßen viele die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, der die Symbolik harmonischer Rassenvielfalt gegen die Fakten der Vorlage aufwertet. Andererseits wehrt man sich gegen eine politische Korrektheit, die Zeitgeschehen umschreibt und gerade deshalb eine hässliche Diskussion entfacht. Der Vorwurf der Inauthentizität, den sich Rosenthal bei seinem inszenierten Foto von Iwo Jima einfing, trifft jetzt also auch die nach Franklins offensichtlich ungestelltem Schnappschuss modellierte Skulptur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen