piwik no script img

matthias urbach über NebenwirkungenMänner, Mäuse und Ozonkiller

Wenn die Menschheit mal ausgerottet wird, dann bestimmt nicht aus böser Absicht

„Wenn irgendetwas schief gehen kann, dann geht es schief.“ Murphys Gesetz

In einer Zeit, als es so was noch gab, war auch ich in einer Männergruppe. Ich brachte es bloß auf zwei Abende, dann musste ich feststellen, dass sie Naturwissenschaftler wie mich hassten. „Ihr habt die Atombombe erschaffen“, sagte Peter und zündete eine Duftkerze an. Ich setzte an zu einer angemessenen Differenzierung: Die Nazis forschten ebenfalls an der Kernspaltung, am Ende waren es Politik und Militärs, die die Bombe einsetzten, und die meisten Forscher waren dagegen, und so weiter. Peter blieb ungerührt: „Man sollte die Naturwissenschaften verbieten.“ Der Mann war ein Trottel, aber manchmal kann ich ihn verstehen.

Noch ist lange nicht entschieden, ob die Atombombe die Welt nun sicherer macht oder nicht. Doch schon bevor die Wissenschaftler des Manhattan Project die erste Bombe getestet haben, gab es große Sorgen. Irgendwann, vermutlich 1942, muss Edward Teller ins Büro seines Chefs J. Robert Oppenheimer gestürzt sein: Er habe ausgerechnet, dass die Zündung der Bombe eine derartige Hitze erzeugen könne, dass zwischen dem Deuterium in der Luft und dem Stickstoff eine Kettenreaktion ausgelöst würde, bei der die Atmosphäre in Brand geraten und sich ein Feuerball einmal um die Erde fressen dürfte.

Oppenheimer gab dem emigrierten deutschen Physiker Hans Albrecht Bethe den Auftrag nachzurechnen – und der gab das Okay zum Zünden der Bombe. Als ihn der Fernsehreporter für einen Filmbeitrag fragte, ob er sich keine Sorgen gemacht hätte, sagte er cool wie Travolta in „Pulp Fiction“, er sei sich sicher gewesen. Dabei hing von seiner Rechnung alles Leben auf der Erde ab.

Nun mag ja Bethe gut rechnen können. Aber konnte er sicher sein, alles Nötige über die damals noch junge Kernphysik zu wissen? Ein so intelligenter Mann wie Bethe konnte unmöglich ohne Zweifel sein. Die Coolness in seinem Fernsehauftritt bestärkte mich nur noch in diesem Eindruck. Andererseits fürchteten die Forscher vom Manhattan Project aus gutem Grund, dass die Nazis ebenfalls an der Bombe forschten. Da geht man vielleicht ein solches Risiko ein.

Heute sind im Streit um die Gentechnik Hasstiraden auf Naturwissenschaftler wieder populär. Doch ich fürchte, sie verfehlen den eigentlichen Punkt. Wenn die Welt untergeht, dann nicht wegen böser Absicht, sondern wegen irgendeines dummen Missgeschicks. Ein Beispiel? Gerne.

Zwei australische Biologen von der Universität Canberra entwickelten vor einem Jahr einen Virus gegen Mäuseplagen. Sie wollten besonders behutsam vorgehen – und die Mäuse nicht gleich töten, sondern lediglich befruchtete Eizellen umgehend wieder austreiben, durch eine Stimulierung des mäuseeigenen Immunsystems gegen die Brut. Dafür pflanzten sie ein harmloses Gen der Maus in einen ebenso harmlosen Pockenvirus ein. Das Ergebnis war ein absolut tödlicher Mäusekiller, der die Immunabwehr lahm legte: Alle infizierten Nager starben innerhalb von neun Tagen.

Die Biologen Ron Jackson und Ian Ramshaw kamen nun ins Grübeln: Sollten sie ihr Ergebnis veröffentlichen oder nicht. Für den Bau einer Atombombe braucht man kompliziertes Gerät und gewaltige Apparaturen, Genversuche lassen sich im Prinzip auch zu Hause erledigen, die nötigen Geräte gibt’s per Versand. Und was mit dem Mäusepocken möglich, lässt sich mit etwas Geschick auch an Menschenviren erledigen. Schließlich fragten die beiden das Verteidigungsministerium. Man wurde sich einig: Inzwischen sind die Daten im Journal of Virology veröffentlicht worden. Als Warnung für andere Genforscher.

Glauben wir also mit dem australischen Militär an das Gute im Menschen. Und hoffen wir auf möglichst wenig Pannen vom Kaliber des Reinfalls mit den FCKWs. Diese Verbindungen aus Fluor, Chlor, Kohlenstoff und Wasserstoff wurden schließlich in den Dreißigern als ideales Kühlmittel eingeführt, weil sie so wunderbar stabil und weder brennbar noch giftig sind. Leider erreichen sie deshalb so wunderbar hohe Luftschichten, wo sie nun die Ozonschicht zerkauen.

Und doch hatten wir mehr Glück als Grips. Hätten die Forscher damals für die Verbindung Brom statt Chlor verwandt, wäre ein genauso tolles Kühlmittel herausgekommen. Nur dass das Brom die Ozonschicht viel schneller und gründlicher zerstört hätte. Statt eines Lochs in der lebenswichtigen Schicht hätten wir inzwischen überhaupt kein Ozon mehr.

Wie schade, Peter: Das Böse ließe sich theoretisch vielleicht ausrotten, der Irrtum nicht. Die Forschung zu verbieten hilft da leider auch nicht.

Fragen zu Nebenwirkungen?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen