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„Kein Nest von Stasispitzeln“

Nach dem 10. Geburtstag jetzt so was: Der ORB muss sich mit der Biografie seines Chefredakteurs befassen. „Bild“ weiß täglich mehr. Hagen Boßdorf bestreitet, für die Stasi gespitzelt zu haben – auch wenn die ihn angeblich gesponsert hat

von ALEXANDER KÜHN

Bei der Show zum zehnten Geburtstag des ORB präsentierte Cherno Jobatey neulich das Beste, was der Sender zu bieten hat. Hagen Boßdorf durfte da nicht fehlen. Der Chefredakteur des Senders und designierte Sportkoordinator der ARD gehört zu den Vorzeigejournalisten des Hauses. Ausgerechnet er macht dem Brandenburger Sender jetzt Sorgen: Nur wenige Monate nach den Stasivorwürfen gegen MDR-Moderator Ingo Dubinski hatte Bild am Samstag berichtet, dass Boßdorf in einer Stasikartei als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden ist.

In jenem ersten Bericht fragte das Springerblatt noch besorgt: „Was wird jetzt aus ihm?“ Am Montag titelte Bild: „ORB prüft Stasivorwürfe“. Am Dienstag wurde die Schraube weitergedreht: „TV-Verbot für Boßdorf? Gestern schließlich wusste das Blatt: „Plötzlich kann sich Boßdorf doch erinnern“ und berichtete von einem interenen Schreiben an ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer. Darin habe Boßdorf eingeräumt, dass ihm die Stasi 150 Ost-Mark für seine Hochzeitsreise nach Ungarn spendiert und er sich verpflichtet habe, über seine Zusammenarbeit mit der Stasi zu schweigen.

„Diesen Brief gibt es“, bestätigte Boßdorf gegenüber der taz. „Wichtig ist aber: Ich habe keine Berichte geschrieben und nicht für die Stasi gearbeitet.“ Er wolle nun beweisen, „dass die Karteikarte ohne mein Wissen angelegt wurde“. Er sei in der Vergangenheit mehrmals überprüft worden, auch auf seinen eigenen Wunsch – zuletzt 2000. Dass er als Jugendlicher dem Stasiwachregiment „Felix Dzierzynski“ angehörte, hatte er vor einigen Jahren eingeräumt.

Rosenbauer plädierte noch am Dienstag in der ORB-Rundfunkratssitzung dafür, früheren Stasimitarbeitern eine zweite Chance zu geben. Es sei „unklug und unmenschlich“, Menschen „in das Gefängnis ihrer Vergangenheit einzusperren“, zitierte er Richard von Weizsäcker. Und: Um die Biografie eines Menschen zu akzeptieren, müsse man diese erst einmal kennen.

Ums Kennenlernen bemüht sich der ORB jetzt. Am Montag hatte der Sender bei der Birthler-Behörde Akteneinsicht beantragt. Wenn die Unterlagen rechtzeitig eintreffen, könnte noch in dieser Woche eine Prüfungskommission tagen, erklärte ORB-Sprecherin Pia Stein.

Die Kommission soll dann klären, ob und wie der Sender weiter mit Boßdorf zusammenarbeiten will. Boßdorf sei nicht vom Dienst suspendiert worden, erklärte Rosenbauer – „das wäre eine Vorverurteilung gewesen“. Johannes Unger, der künftige Chefredakteur, habe jedoch bereits Boßdorfs Geschäfte übernommen. Wie die ARD-Pressestelle erklärt, soll von den ORB-Ergebnissen auch die Zukunft von Boßdorf als ARD-Sportkoordinator abhängen. Bisher ist geplant, dass er dieses Amt im April antreten soll.

Hanno Harnisch, Ex-PDS-Sprecher, wunderte sich in der Rundfunkratssitzung, warum die Birthler-Behörde nicht auch den ORB informiert habe, sondern nur Bild. Wie Birthler-Sprecherin Cornelia Bull auf taz-Anfrage erklärte, bestehe keine Pflicht, den Sender zu informieren. Frühere Anfragen des ORB hätten die entsprechenden Information zu Boßdorf nicht geliefert. Das hänge damit zusammen, dass längst nicht alle Akten ausgewertet seien: „Wenn wir auf neue Informationen stoßen, dann werden die nicht automatisch nachgeliefert.“

Die Idee einzelner Rundfunkratsmitglieder, man solle doch einen Beschluss fassen, wie mit der ganzen Geschichte umzugehen sei, wurde schnell fallen gelassen. Angelika Mieth, Vertreterin der Frauenverbände Brandenburgs, sprach sich dagegen aus, „dass der Rundfunkrat in einem laufenden Verfahren Position bezieht“. Einige Rundfunkräte waren durchaus erleichtert. „Wir haben schon genug über Stasivergangenheiten diskutiert“, erklärte einer nach der Sitzung.

Intendant Rosenbauer jedenfalls bemühte sich klarzustellen, dass der ORB „kein Nest von Stasispitzeln sei“. Und verwies darauf, dass die ARD eine eigenes Forschungsprojekt „Staatssicherheit und Medien“ laufen hat.

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