Für alle Fälle Fäuste

Rebellisch, selbstverliebt, sogar ein bisschen sexy: Norbert Grupe alias Prinz Wilhelm von Homburg war in den Sechzigerjahren die deutsche Antwort auf Muhammad Ali. Der Filmemacher Gerd Kroske hat mit „Der Boxprinz“ einen Film über ihn gedreht

von CRISTINA NORD

Norbert Grupe hat nichts ausgelassen. Zuhälter war er, Schläger und Fleischträger, bei den Hell’s Angels mischte er mit, er nahm Drogen, saß im Gefängnis, spielte in B-Filmen und einmal einen Geldeintreiber in Werner Schroeters „Stroszek“. Er catchte und verlor, so es im Vertrag stand: „Wenn man bezahlt wird, macht man das gerne.“ Vor allem war er „der Prinz“, „Wilhelm von Homburg“, das Schwergewicht, das in den Sechzigerjahren Sex und Show in deutsche Boxringe brachte. Heute lebt Grupe in Los Angeles, ein Darsteller seiner selbst: noch immer rau und großmäulig, in raren Augenblicken charmant.

Der Filmemacher Gerd Kroske hat sich des Mannes angenommen. „Der Boxprinz“ ist ein wohlwollendes Porträt, das nicht nur dem Boxer, sondern auch der Hamburger Halbwelt gilt. Domenica hat einen kurzen Auftritt, ein Mitglied der Hell’s Angels erzählt, ein ehemaliger Bordellbetreiber geht durch St. Pauli und beschwört die guten alten Tage, als ehrliche Männer ehrlichen Geschäften nachgingen. Als sich ihm ein schmächtiger Mann nähert, gibt er ihm eine Ohrfeige. Ein ehemaliger Boxer ist Verkäufer an einem Würstchenstand geworden, ein anderer räsoniert über die Zusammenhänge zwischen dem Milieu und dem Boxen: „Ein guter Boxer kommt aus der Armut.“

Zwischen die Gesprächssequenzen montiert Kroske Archivmaterial, etwa einen Ausschnitt aus einer Sendung des ZDF-Sportstudios. Darin stellt Reiner Günzler, der Moderator, Fragen, die Grupe für unbotmäßig hält. Als Antwort erhält er Schweigen und ein spöttisches Lächeln. Eine Sensation war das im deutschen Fernsehen, damals im Juni 1969, nachdem Grupe gegen den Argentinier Oscar Bonavena verloren hatte. Günzler kostete das missglückte Interview den Job, Grupe wurde vom Bund Deutscher Berufsboxer für weitere Kämpfe gesperrt, doch der Ausschluss wurde bald aufgehoben.

Norbert Grupe alias Prinz Wilhelm von Homburg war so etwas wie die deutsche Antwort auf den Sexappeal eines Muhammad Ali, eine Sparvariante zwar, aber so selbstverliebt und rebellisch, dass es für den Skandal allemal langte. Die Zeitungen nannten ihn „Box-Beatle“, und das war böse gemeint.

Heute ist er ein alter, unrasierter Mann, der sich mit kleinen Film- und Fernsehauftritten über Wasser hält. „I got soft“, sagt er, wenn er in einem Boxstudio vorbeischaut und einen Sandsack bearbeitet. Seine Freunde, die afroamerikanischen Trainer, nennen ihn trotzdem „The Great von Homburg“. Wenn er sich seine alten Kämpfe anschaut, regt er sich auf. „Onanist“ schimpft er den Ringrichter, der ihn wegen eines Kopfstoßes disqualifizierte: „Zum Küssen ist das.“ Ein Franzose eben, es liege auf der Hand, dass ein Franzose einen Deutschen nicht fair behandele, so wenig wie es eben einem Deutschen möglich sei, in Hollywood zu reüssieren – hätten dort doch Juden alle Fäden in der Hand.

Kroske lässt Grupe reden. Er stellt keine kritischen Fragen und wird weder dem Boxer noch den übrigen Gesprächspartnern unbequem. Das hat den Vorteil, dass die sich ohne Scheu preisgeben – in all ihrem Machismo, ihrer Unartikuliertheit, ihrem langsamen Denken, in dem eine Faust immer schwerer wiegt als ein Argument. Doch zugleich scheint Kroske geblendet von seinem Sujet. Er erliegt dem Faszinosum der Halbwelt, zumal wenn er auf St. Pauli dreht. Die Kamerafahrt durch die von zwei Frauenbeinen gesäumte Tür zum Etablissment „Die Ritze“ lässt er sich nicht nehmen, und drinnen trägt er Sorge, dass die Kamera die Pornos auf den Bildschirmen zumindest am Bildrand einfängt. Wäre da einer gerne verrucht, ist aber nur Filmemacher?

Kroskes defensive Haltung gegenüber seinem Protagonisten jedenfalls hat etwas von Anbiederung. Als fürchte er, der Boxer könne zulangen, sobald der Regisseur ihn verärgere.

„Der Boxprinz“. Regie: Gerd Kroske. Mit Norbert Grupe, Domenica, Werner Schroeter u. a., Deutschland 2000, 100 Minuten