: „Der Senator könnte anders“
■ Bremens Ausländerbeauftragte Dagmar Lill fordert Bleiberecht aus humanitären Gründen für untergetauchte kurdische Familie
Seit Dienstag sitzt der 15-jährige Sohn der ausreisepflichtigen libanesischen Familie El-Zein in Abschiebehaft (die taz berichtete). Sein Anwalt hat gegen den zugrundeliegenden richterlichen Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Junge, dessen Mutter für eine Abschiebung zu krank ist und dessen Vater untergetaucht ist, muss also mindestens bis zu einem abweichenden Gerichtsbeschluss in Haft bleiben – oder bis die Behörden geklärt haben, wer den Minderjährigen in der Türkei aufnehmen kann. Die taz sprach über den Fall mit Bremens Ausländerbauftrager.
taz: Frau Lill, gilt für Kinder ausländischer Eltern keine Schulpflicht?
Dagmar Lill, Ausländerbeauftragte: Natürlich unterliegen sie der Schulpflicht, auch der junge El-Zein. Er ist aber zur Ausreise verpflichtet, deren Datum ja schon fest stand. Experten würden sicher behaupten, dass damit auch die Schulpflicht erlischt.
Warum fordern Sie ein Bleiberecht für die Familie?
Es ist inhuman, Menschen, die über zehn Jahre in Deutschland gelebt haben, in ein Land zu schicken, in dem sie nie ihren Lebensmittelpunkt hatten. Ich setze mich für eine schnelle Abwicklung von Asylverfahren ein – im Interesse der Asylbewerber und der deutschen Gesellschaft.
Aus Sicht der Innenbehörde hatte die Familie ihr bisheriges Aufenthaltsrecht mit falschen Angaben erschlichen, weil man sie als angebliche Libanesen nicht ins Bürgerkriegsland Libanon zurückschicken konnte.
Wenn diese Familie sich gleich als kurdische Türken ausgegeben hätte, hätte sie hier höchstwahrscheinlich Asyl bekommen. Bis 1995 gab es Abschiebestopp für Kurden. Wenn man also heute – rein theoretisch – Täuschung unterstellen will, muss man doch sagen, dass diese Menschen sehr schlecht beraten waren.
Innensenator Kuno Böse (CDU) lehnt Ihre Forderung nach humanitärem Bleiberecht als unbegründbar ab, weil die Familie sich hier rechtswidrig aufhalte.
Die Frage ist ja, ob es einen Ermessensspielraum gibt. Ich konzentriere mich dabei insbesondere auf die Kinder und Kindeskinder. In diesem Zusammenhang wird meist ein Bremer Verwaltungsgerichtsurteil zitiert, wonach die Kinder sich das Handeln der Eltern zurechnen lassen müssen. Dieses Urteil bezieht sich aber auf eine andere Familie, die auch ein ganz anderes Schicksal hatte. Im Fall der El-Zeins muss ich feststellen, dass die kleinen Kinder hier geboren, also nicht illegal eingereist sind. In der Rechtssprache ist Geburt auch eine Art Einreise.
Für den inhaftierten Jungen gilt das nicht. Er ist eingereist.
Man kann ihm aber doch keine Täuschung vorwerfen. Und das Ausweisungsrecht würde erst greifen, wenn er zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden wäre.
Wird Ihre Auffassung irgendwelche Konsequenzen haben?
Herr Senator Böse betont ja immer wieder, dass er den Fall des 19-jährigen Bruders, Serag El-Zein, als Härtefall sehen würde, seine Hände aber gebunden seien. Da sage ich: Sie sind ihm nicht gebunden. Das Gericht hat lediglich festgestellt, dass die Behörde bislang kein rechtswidriges Ermessen ausgeübt hat. Das heißt ja nicht, dass der Innensenator nicht auch positives Ermessen hätte ausüben können. Dazu hat sich das Gericht gar nicht äußern können, weil dies überhaupt nicht zur Debatte stand. Die Familien hatten ja alle eine Aufenthaltsbefugnis, die ihnen entzogen wurde. Mit großer Sorge beobachte ich die schlimmen Folgen insbesondere für junge Leute auch in den anderen betroffenen Familien. Von denen hatten manche eine Ausbildungsstelle, die sie nun nicht antreten können – obwohl die rechtlichen Verfahren andauern.
Nun ist dieser Jugendliche in Abschiebehaft, wo es keine sozialarbeiterische Betreung gibt. Er lebt in einer Zelle mit blickdichten Glasbausteinen statt Fenstern. Den Himmel sieht er nur vom Aufenthaltsraum aus. Wird die Ausländerbeauftragtee aktiv?
Ich kann nichts veranlassen. Der Polizeigewahrsam untersteht dem Innenressort. Aber ich betone: Ich halte es für falsch, ihn dort unterzubringen. Die Inhaftierung widerspricht auch den politischen Beschlüssen aus der Deputation.
Die Polizei ermittelt länderübergreifend gegen die Gruppe der Libanesen. Beraten Sie sich auch mit Ausländerbeauftragten anderer Länder?
Ich weiß von den Niedersachsen, dass sie sich die Einzelfälle sehr genau anschauen und insbesondere bei den nachfolgenden Generationen Härtefallbetrachtungen anstellen. Die Bedingungen sind auch dort klar: Es darf kein anderer Abschiebegrund vorliegen, wie strafbare Handlungen, die zu rechtskräftigen Verurteilungen geführt haben. Fragen: Eva Rhode
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