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Nur ein Foto nährt die Hoffnung

Im vorigen Jahr wurden aus Berlin 3.544 Menschen abgeschoben. Daran wird sich auch unter Rot-Rot nichts ändern. Einer der Ersten, der unter dem neuen Senat abgeschoben wurde, ist der 23-jährige Kurde Cem P. Seine schwangere Frau und die anderthalbjährige Tochter blieben in Deutschland

von HEIKE KLEFFNER

Die Werbung der Bundesregierung ist nicht zu übersehen. Eine „Familie Deutschland“ – mitsamt zufriedenen Eltern, zwei Kindern und einer schwarzen Plastikpuppe – strahlt die Bewohner des unauffälligen Mietshauses von der Wand in Berlin-Mitte an. Manchmal muss Amira S. beinahe lachen, wenn sie das bunte Plakat sieht. Doch das Schmunzeln will nicht wirklich bis zu den Augen wandern. Dann streicht sie mit den Fingern vorsichtig die Ecken des abgegriffenen Fotoalbums glatt und starrt auf die Bilder. So, als wenn alleine ihre Hoffung ausreichen würde, um dem dunkelhaarigen jungen Mann mit dem ernsten Gesichtsausdruck und dem Säugling auf dem Arm vom Foto direkt in das sparsam möblierte Wohnzimmer zu befördern. Die eineinhalbjährige Tochter Derivan liegt apathisch auf der Couch, während Amira S. von „der Hölle“ erzählt, seitdem ihr Ehemann Cem P. (Name geändert) Mitte Januar in die Türkei abgeschoben wurde.

Amira S. ist 21 und hat für dieses Alter schon ziemlich viel erlebt. Ein Teil dieser Geschichte findet sich als Papiersammlung in trockenem Behördendeutsch. Dem ist zu entnehmen, dass die junge muslimische Bosnierin vor vierzehn Jahren vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland floh. Ihre Erinnerungen und mehrere Suizidversuche führten dazu, dass sie für die Fachärzte am Urban-Krankenhaus als traumatisierter Bürgerkriegsflüchtling gilt. „Keine einfache Zeit“ sei das gewesen, sagt Amira und streicht sich die blondgefärbten Strähnen aus dem müden Gesicht.

Erst als sie Cem P. kennenlernte, begann sie, sich in Deutschland wohl zu fühlen. Plötzlich hatte sie den Schutz eines Gleichaltrigen, der ähnliche Erfahrungen mit einer feindseligen Umgebung gemacht hatte. Der Kurde war mit 16 alleine aus der Türkei nach Deutschland geflohen.

An eine offizielle Heirat konnten Amira und Cem jedoch nicht einmal denken. Denn der heute 23-jährige war von seinen Familienangehörigen längst für eine Zwangsehe bestimmt. Und seiner Versuche, sich dem Plan zu widersetzen, wurden mit Gewalt und dem Entzug seiner zur Eheschließung notwendigen Ausweispapiere bestraft. Doch im Islamischen Zentrum fanden die beiden Teenager zumindestens einen Imam, der sie traute.

Wenn Amira S. in fließendem Deutsch von der Angst ihres Mannes vor seiner Familie spricht, berühren ihre Hände oft die durchsichtig rotschimmernde Narbe an ihrem Halsansatz. „Dahinter war auch so ein Knoten“, beantwortet sie die unausgesprochene Frage der Besucherin. Lymphknotentuberkulose haben die Ärzte im Herbst vergangenen Jahres bei ihr diagnostiziert. Das war wenige Monate, bevor Cem P. in Abschiebehaft kam. Eine Zeit, die Amira S. ohne ihn „einfach nicht durchgestanden hätte.“ Cem P. kümmerte sich um die Tochter, kam täglich ins Krankenhaus. Amira S. lächelt: „Wir sind beide nicht ohne einander klargekommen.“

Das sieht die Berliner Ausländerbehörde offenbar anders. Sie hatte Cem P. im vergangenen Jahr zur Abschiebung ausgeschrieben, nachdem dessen erster Asylantrag und auch ein Folgeantrag abgelehnt worden waren und er auf die Post der Behörde nicht mehr antwortete. Amira S. sagt, ihr Mann habe die Briefe nie erhalten.

Vielleicht wäre trotzdem alles irgendwie noch eine Weile gutgegangen, wenn Cem P.s Familie nicht weiterhin auf dessen Ehe mit einer anderen Frau bestanden hätte. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, wurde Cem P. im November nach Nordrhein-Westfalen verschleppt. Und weil er sich trotzdem weigerte, von den Verwandten zur Strafe der Polizei übergeben. Die nächsten Schritte waren programmiert: Abschiebehaft und am 17. Januar schließlich die Abschiebung. Seitdem, sagt Amira S., habe sie ein paar Mal mit Cem P. telefoniert. „Er weint und hat Angst, weil er bald zum Militär eingezogen werden soll. Dann muss er auf andere Kurden schießen.“

Wie ihr Leben nun weitergehen soll, ist Amira S. völlig unklar. Sie ist im sechsten Monat mit dem zweiten gemeinsamen Kind schwanger, und über die Perspektive, schwer krank zwei Kleinkinder alleine zu versorgen, kann sie „gar nicht nachdenken.“ Der Stress um die Abschiebung von Cem P. sei „absolut kontraproduktiv für den Heilungsprozess der Frau, sagt Professor Jürgen Hengstmann, Chef der Allgemeinen Inneren Medizin am Urban-Krankenhaus. Er spricht offen von einer akuten Lebensgefahr für seine Patientin. Besonders empört ist Hengstmann, dass die beiden Gerichte, die der Abschiebung zustimmten, seine Gutachten offensichtlich weder sonderlich ernst nahmen, noch ihn direkt anhören wollten.

Auch einer seiner Mitstreiter hat inzwischen ganz eigene Erfahrungen mit den Behörde gesammelt. Hans-Peter Krüger, Professor für Philosophie an der Universität in Potsdam, hatte Cem P. vor über einem Jahr auf der Suche nach Testpersonen für eine Studie zufällig in Neukölln in einem Imbiss kennengelernt. Es entwickelte sich eine Freundschaft, und seit der Abschiebung von Cem P. ist der heiße Draht zu Krüger für Amira S. an manchen Tagen die einzige Beruhigung. Für den Professor ist die Odyssee der beiden „ernsthaften jungen Leute“ eine völlig neue Erfahrung.

Insbesondere in Bezug auf die Ausländerbehörde. Krüger schildert ein Telefonat mit einem Sachbearbeiter, der im Laufe des Gesprächs meinte, ihn über Cem P. aufklären zu müssen und vertraulich durchblicken ließ, „der“ wolle doch „nur die Frauen ficken“, und die Behörden sollten sich dann um die Kinder kümmern. Ein anderer Beamter habe behauptet, Cem P. sei ein mehrfacher Straftäter, so Krüger. Auf Nachfragen dazu erfährt man, dass Cem P.s Straftaten aus seiner Teilnahme an PKK-Unterstützungsdemonstrationen bestanden haben, bei denen er als Jugendlicher zwei Mal verhaftet und in einem Fall zu einer geringfügigen Jugendstrafe verurteilt wurde. Ein Vorgang, der sich auch in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wiederfindet.

Die Richter hätten im „Blindflug und nach Aktenlage“ entschieden,“ lautet das Resümee von Hans-Peter Krüger. Nun versucht er gemeinsam mit Flüchtlingsberatern, wenigstens den Aufenthaltstatus von Amira S. zu verbessern. Die darf als traumatisierter Kriegsflüchtling zwar nicht abgeschoben werden, erhält aber lediglich alle sechs Monate eine Duldung, obwohl ihr nach der Altfallregelung längst ein fester Aufenthalt gewährt werden könnte. Doch dafür müsste sie arbeiten und keine Sozialhilfe beziehen. „Die Ausländerbehörde interessiert offenbar nicht, dass hier eine Ausnahmeentscheidung notwendig wäre,“ sagt Krüger empört. Er will so lange wie notwendig „den Störenfried“ spielen.

Denn ein besserer Aufenthaltsstatus für Amira S. ist auch die Grundvoraussetzung, dass die Berliner Ausländerbehörde die Wiedereinreisesperre für Cem P. doch noch aufhebt. Amira S. jedenfalls will die Hoffnung, dass „Cem bei der Geburt des Kindes wieder hier ist“ nicht aufgeben. Weiter kann sie nicht planen.

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