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Lug und Trug in Bremerhaven

■ Plötzlich taucht ein zweiter Entwurf des skandalösen Knebel-Vertrages für den Leiter des Rechnungsprüfungsamtes auf – vom Stadtverordnetenvorsteher Artur Beneken (SPD)

Die Affäre um das Bremerhavener Rechnungsprüfungsamt geht in die nächste Runde: Dem als schwierig geltenden Amtsleiter Rainer Mattern war vor gut einem Jahr ein Vertrag vorgelegt worden, mit dem er auf einen Großteil seiner Kontrollpflichten verzichtet hätte. Im Gegenzug wurden ihm die Einstellung von Disziplinarverfahren und die ohnehin anstehende Beförderung in Aussicht gestellt (taz berichtete). Unklar ist bisher, woher der Vertrag kam. CDU-Fraktionschef Paul Bödeker sagt, er habe seinerzeit ein klärendes Gespräch mit seinem SPD-Pendant Klaus Rosche und Mattern geführt. Während der Unterredung habe Rosche den skandalösen Vertragsentwurf aus der Tasche gezogen. Rosche selbst kann sich daran nicht erinnern. Oberbürgermeister Jörg Schulz und Stadtverordnetenvorsteher Artur Beneken (beide SPD), neben Mattern beide als Unterzeichner des Vertragswerks vorgesehen, gaben sich im Dezember ebenfalls ahnungslos.

Das wollte Bödeker nicht auf sich sitzen lassen: Beide hätten von dem Papier wissen müssen, da es im Koalitionsausschuss besprochen worden sei. Vorgestern ging Beneken in die Offensive. Vor dem Verfassungs-Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung referierte er ungefragt, was sich seit Wochen als hartnäckiges Gerücht hielt: Es gibt eine zweite Fassung des Vertragswerks mit Benekens Änderungsvorschlägen, datiert vom 21. September 2000. Darauf steht handschriftlich „gefaxt im Auftrag von Herrn Rosche“ – und Benekens Unterschrift. „Vereinbarungsgemäß“ habe er seine „Anmerkungen“ seinerzeit an Bödekers „Privatadresse“ gefaxt, betonte Beneken vor dem Ausschuss.

„Stimmt nicht“, sagt Bödeker. Er habe nichts bestellt und auf die neue Version auch nicht reagiert, weil er sie wie die erste für „inakzeptabel“ gehalten habe. Beneken hat zwar einen Passus eingefügt, nach dem die „materiell-rechtliche Unabhängigkeit“ des Amtes gewahrt bleibe und eine Demutsgeste des Amtsleiters gestrichen. Außerdem sah sein Entwurf einen Ausschuss für Beschwerden vor, die der Amtsleiter bislang bei Beneken persönlich vortragen musste. Der Charakter des Kuhhandels bleibt allerdings bestehen: Beförderung nur gegen handzahmes Verhalten – und wenn Mattern zusichert, sich bundesweit auf alle in Frage kommenden Stellen zu bewerben. Ein sanfter Rausschmiss.

Bödeker ist über das Vorgehen des Stadtverordnetenvorstehers empört und hat Benekens Papier jetzt öffentlich gemacht: „Erst hat er behauptet, dass er den Vertragsentwurf nicht kennt und es mit dem Rechnungsprüfungsamt kein Problem gebe, und jetzt sowas“, schimpft er. „Das ist doch einfach gelogen.“ Benekens Ablösung will er dennoch nicht forden. „Ich werde doch deswegen nicht die Koalition aufkündigen“, sagt er, „darüber müssen erstmal andere entscheiden ...“ Gemeint ist die Delegiertenversammlung der Bremerhavener SPD, die gestern Abend tagte. Eigentlich sollte dort eine andere Personalie im Mittelpunkt stehen: Klaus Rosche sollte für das Amt eines ehrenamtlichen Stadtrats nominiert werden, nachdem er im Rennen um einen hauptamtlichen Posten unterlegen war. Inzwischen ermittelt gegen ihn allerdings die Staatsanwaltschaft: Er soll versucht haben, Mattern mit dem Vertragsentwurf zu nötigen. Der Bund der Steuerzahler fordert indes, die Errmittlungen auf versuchte Bestechung auszuweiten. Die Jusos sind schon auf Distanz gegangen: Sie versuchten vergeblich, die Nominierung bis zur Klärung der Vorwürfe zu verschieben. Bremerhavens Grüne scheiterten vorgestern mit dem Versuch, durch eine Sondersitzung des zuständigen Ausschusses Licht in die Affäre zu bringen. Nun drohen sie mit dem letzten Mittel: der Einberufung eines Untersuchungsauschusses in der Bremer Bürgerschaft. Die dortige Fraktionssprecherin Karoline Linnert: Wir hoffen, dass die Bremerhavener das Thema endlich selbst ernst nehmen, schließen aber nichts aus. Jan Kahlcke

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