Deutsches als Hauptsache

Die öffentlich-rechtlichen Medien werden auch von diesen Olympischen Spielen fast rund um die Uhr berichten – und echte Sportfans mit Schnickschnack um deutsche Helden verprellen. Konsequent live dabei und frei von nationalen Interessen ist nur ein Sender: Eurosport

von RENÉ MARTENS

Wer heute noch glaubt, dass sich Sportbesessene auf Olympische Spiele freuen können, der irrt. Schuld am vorauseilenden Missmut sind generell ARD und ZDF, deren Sportredaktionen solche Events immer auch als Leistungsschauen für ihr eigenes Personal verstehen: Obendrein reaktivieren sie auch noch ein paar Altstars des Sports.

So es ist auch bei den Winterspielen in Salt Lake City. Da erfährt der Sportinteressierte im Vorfeld, dass der ARD-Experte für Curling Thomas Braml heißt und die Skeletonkoryphäe des ZDF auf den Namen Gerrit Schnaar hört. Ungleich wichtiger ist allerdings die Nachricht, dass die Mainzer Rolf Kramer im Aufgebot haben. Der Mann mit der sonoren Stimme war in den Siebziger- und Achtzigerjahren präsent als Fußball- und Handballreporter, doch nach dem Endspiel der Fußball-WM 1986 zog er sich hinter die Kulissen zurück.

Viele regelmäßige Zuschauer dachten schon, er befände sich im Ruhestand, aber tatsächlich wird er das erst 2003 tun. Kramer wird jetzt in der Rubrik „Olympic Moments“ Nostalgiker mit Filmen über Georg Thoma oder Rosi Mittermaier bedienen.

Dass Talente und „auslaufende Modelle“ (Kramer über Kramer) zum Einsatz kommen, lässt sich noch leicht verschmerzen. Schlimmer indes ist die Omnipräsenz der üblichen Verdächtigen. Während des normalen Sportbetriebs von Januar bis Dezember ist der Fernsehzuschauer noch in der Lage, all den Steinbrechers und Hartmanns auszuweichen, bei Olympischen Spielen jedoch gibt es kein Entkommen. Mehr als zwei Wochen lang sind sie täglich auf den Bildschirm.

Das personelle Elend der Öffentlich-Rechtlichen lässt sogar die Werbetexter der beiden Häuser nicht kalt. In einer von ARD und ZDF gemeinsam herausgegebenen Pressemappe witzelt einer, dass Wilfried Mohren „als Moderator und Reporter einer der tragenden Säulen des BRD-Sports“ sei. Der MDR-Sportchef ist bei Großereignissen aus Proporzgründen mit dabei, schließlich wollen die Ostzuschauer auch einen der Ihren vor den Kameras sehen.

Der 43-Jährige fühle sich „richtig wohl vor allem, wenn er im Leipziger Studio für das MDR-Fernsehen ‚Sport im Osten‘ moderiert“, schreibt der Branchendienst Funkkorrespondenz, „da sitzt er gern nachmittags in Strickjacke und mit Kaffeetasse und erzählt launige Geschichten von Lok Stendal oder dem Dresdner SC“.

Mohren ist im Jahr 2000 von seinem Sender abgemahnt worden, weil er sich im Wahlkampf um das Dresdner Bürgermeisteramt allzu stark für den Kandidaten der CDU engagiert hatte, aber das scheint ihm nicht geschadet zu haben. Und Angst vor Fettnäpfchen hat ihn die scharfe Rüge auch nicht lehren können. So füllte er im vergangenen Jahr den Fragebogen des rechtsextremen Wochenblatts Junge Freiheit aus. Auf die Frage, was er gern verändern würde, antwortete Mohren: „Ein paar Merkmale am Wesen meines Volkes.“

Zugegeben, die Präsentatoren der Öffentlich-Rechtlichen sind in einer Hinsicht gut ausgewählt: Sie passen perfekt zu der journalistisch fragwürdigen Berichterstattung, die sie verkaufen sollen. Was Sportinteressierte an der Strategie von ARD und ZDF misslich finden, beschreibt Eberhard Figgemeier, ZDF-Olympiachef, in fast verräterischer Offenheit: „Damit die Zuschauer Olympia so hautnah und interessant wie möglich miterleben können, setzen ZDF und ARD zusätzlich 36 eigene Kameras ein.“

So heißt es, während „der Regieschwerpunkt des amerikanischen Hostbroadcasters vor allem auf der neutralen Bildinformation“ liege, „werden ZDF und ARD mit den zusätzlichen Kameras eine journalistischere, emotionalere Bildführung möglich machen, mit der die Geschichte hinter der Geschichte gezeigt und die Aspekte herausgearbeitet werden, die den Zuschauer besonders interessieren“.

Was den Zuschauer nach Auffassung der öffentlich-rechtlichen Sport-TV-Regenten „besonders interessiert“, seien deutsche Medaillen und deutsche Geschichten, wobei es natürlich auch mal um einen heldenhaft Gescheiterten gehen darf. Dieser Ansatz bringt es erfahrungsgemäß mit sich, dass ARD und ZDF immer gerade dorthin schalten, wo etwas aus deutscher Sicht vermeintlich Wichtiges passiert oder auch nur passieren könnte. So freilich zerstört man die Dramaturgie anderer (zeitgleich stattfindender) Wettbewerbe und brüskiert den unpatriotischen Sportfan. Die Spezifika vieler unbekannter Disziplinen bleiben deshalb im Dunkeln.

Wie soll der Zuschauer zum Beispiel erfahren, was den Reiz einer noch unbekannten Sportart wie Skeleton ausmacht? Sportler stürzen sich bei 140 Stundenkilometern mit dem Kopf vorneweg – und dazu noch auf einem archaisch anmutenden Schlitten – in den Eiskanal, sodass das Rennrodeln, bei dem die Athleten rücklings auf dem Sportgerät liegen, plötzlich wie safer Sport wirkt. Dass die Teilnehmer hier ähnliche Kicks genießen wie bei Extremsportarten, erschließt sich schnell, aber damit der Zuschauer diese Wintersportdisziplin hinreichend verstehen kann, braucht er Zeit: Die wird er bei ARD und ZDF aber nicht bekommen.

Wenn in Salt Lake City jemand am Start wäre wie Eddie The Eagle, der legendäre britische Laienskispringer und Selbstmarketingexperte, dann würden sich ARD und ZDF bei den Schanzenwettbewerben auf nur drei Personen konzentrieren: ihn, Hannawald und Malysz. Der Rest? Staffage.

Überhaupt steht zu befürchten, dass der Hype um „die Formel 1 des Winters“ (RTL-Sprech) auf die Skisprungberichterstattung aus Salt Lake City abfärben wird. Auf dem Höhepunkt der Vierschanzentournee hatte der Kölner Privatsender schließlich dreizehn Millionen Zuschauer – für Deutschlands WM-Fußballqualifikationsdebakel gegen England interessierten sich im Herbst weniger Menschen.

Weil die Springdisziplinen, wie sämtliche Skiwettbewerbe, aufgrund des Zeitunterschieds abends stattfinden – der normale europäische Weltcupbetrieb geht am Vormittag oder frühen Nachmittag über die Bühne –, könnte die Resonanz ähnlich groß sein. Dummerweise gilt ausgerechenet Wilfried Mohren als Skisprungexperte.

Wer frustriert ist von der Berichterstattung im Ersten und Zweiten, der hat eine gute Chance, bei Eurosport Trost zu finden. Nicht, dass dieser Kanal, der rund um die Uhr aus Salt Lake City senden, also den restlichen Sport zwei Wochen links liegen lassen wird, die besseren Reporter hat. Der in 54 Ländern zu empfangende Sender hat aber eine Philosophie, die besonders Sportfans aus der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen für angemessen halten.

Unsere Programmplanung ist international, und deshalb ist es für uns zum Beispiel nicht von Belang, ob beim Curling die Deutschen schon in der Vorrunde rausfliegen“, sagt Eurosport-Sprecher Werner Starz. Darüber hinaus, stichelt er, sei es für seinen Sender „nicht das Wichtigste, nach einem Wettkampf einen Einblick in das Gefühlsleben der deutschen Athleten zu geben“. Vorteilhaft bei Eurosport ist auch, dass man von diesem Sender – der Name verpflichtet – gar nicht erst erwartet, er würde auch das Geschehen jenseits der Wettkämpfe angemessen würdigen.

Von ARD und ZDF dagegen wünscht man sich das schon – und wird meistens enttäuscht. Kurz vor Olympischen Spielen oder anderen Großereignissen senden sie zwar eine längere Reportage oder ein längeres Feature, und egal, ob es dabei um Doping geht oder um Sportpolitik oder darum, ob dem Zuschauer in Bezug auf den Austragungsort unaufdringlich Nachhilfe in Erdkunde gegeben wird – es sind meistens Glanzstücke. Wenn die Wettkämpfe losgehen, ist diese Art von Journalismus dann aber kaum mehr wahrnehmbar.

Das dürfte auch bei diesen Winterspielen so ablaufen. Am vergangenen Mittwoch gab es im Ersten „Bibelfest im Pulverschnee – Olympia im Mormonenstaat“ zu sehen, ein launiges Feature aus Salt Lake City und Umgebung. Der Washingtoner ARD-Korrespondent Claus Kleber riss hier auf angemessene Weise jenes Thema an, das sich – weit vor der Sicherheit und ihren Kosten – als interessantestes Nichtsportthema rund um diese Sportspiele erweisen dürfte: die allgegenwärtige Macht der Mormonen, einer christlich-fundamentalistischen Sekte, die Wirtschaft und Politik in Salt Lake City dominiert und schneller wächst als jede andere Religionsgemeinschaft der Welt.

Wenn die Spiele laufen, wird Kleber in Salt Lake City sein – allerdings nur an den ersten drei Tage, weil er sich angesichts der weltpolitischen Situation nicht für längere Zeit außerhalb Washingtons aufhalten will. „Wenn Ussama Bin Laden gefasst wird, bin ich lieber dort als in Salt Lake City“, sagt er. Immerhin hat die ARD eine ihre besten Auslandskräfte – Inka Schneider, ebenfalls aus dem Washingtoner ARD-Büro – in die Olympiastadt beordert, um während der gesamten Spiele von dort zu berichten. Ihre Beiträge, so Kleber, seien vor allem für das Morgen- und Mittagsmagazin geplant.

Da stellt sich also wieder das Problem mit der schlechten Wahrnehmbarkeit der Nichtsportbeiträge vom Sport: beide Magazine sind nur Randgruppensendungen.

RENÉ MARTENS, 37, lebt als freier Autor in Hamburg und schreibt über Themen aus den Bereichen Popkultur, Medien und Sport. Er kann weder Ski noch Schlittschuh laufen