: „Nicht auf die zweite Tat warten“
Baden-Württemberg bringt Gesetzentwurf in den Bundesrat, wonach Sicherungsverwahrung für Straftäter auch nachträglich angeordnet werden kann. Auch Ersttäter sollen erfasst werden. Rot-Grün weist wahlkampfgemäß eine eigene Initiative vor
aus Freiburg CHRISTIAN RATH
„Den Menschen ist es nicht länger zu vermitteln, dass gefährlichste Strafgefangene trotz sicher vorhersehbarer Wiederholungstaten auf freien Fuß gesetzt werden.“ So begründete der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP) gestern im Bundesrat seine Initiative zur Verschärfung der Sicherungsverwahrung (SV).
Auch die rot-grüne Bundesregierung hat inzwischen vergleichbare Pläne. Sicherungsverwahrung wird angeordnet, wenn ein nicht geisteskranker Täter auch nach der Strafhaft im Gefängnis bleiben soll, weil man weitere schwere Taten fürchtet. Laut Strafgesetzbuch muss eine SV bisher aber gleich bei der Verurteilung ausgesprochen werden. Außerdem kann sie erst verhängt werden, wenn der Kriminelle bereits zweimal wegen schwerer Delikte verurteilt wurde. Diese zwei Hürden will Goll absenken. Zum einen soll die SV bis kurz vor der Haftentlassung angeordnet werden können. „So können wir auch Täter erfassen, deren Gefährlichkeit sich erst in der Haft abzeichnet“, argumentiert Goll. Außerdem soll die SV schon gegen Ersttäter angewandt werden. „Der Rechtsstaat darf nicht darauf warten, bis ein Schwerverbrecher die zweite oder dritte Tat begangen hat“, meint der FDP-Politiker.
In Baden-Württemberg gibt es die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung bereits seit letztem März. Bayern ist schon nachgezogen, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt planen ähnliche Gesetze. Die Regierung von Erwin Teufel (CDU) will nun erreichen, dass das Stuttgarter Modell bundesweit angewandt wird. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) ist allerdings dagegen: „Vorbeugung ist Ländersache“, betonte sie vorige Woche erneut.
Da jedoch Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Hinblick auf den Wahlkampf bereits unruhig wird, muss nun auch die rot-grüne Bundesregierung etwas tun. Däubler-Gmelin und Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher der Grünen, haben angekündigt, dass das SV-Recht noch in dieser Wahlperiode ausgeweitet werden wird. Strafgerichte sollen beim Urteil eine Sicherungsverwahrung „unter Vorbehalt“ anordnen können. Ob die Sicherungsverwahrung tatsächlich zur Anwendung kommt, würde dann kurz vor einer möglichen Haftentlassung geprüft. „So können auch positive und negative Entwicklungen aus der Haftzeit mit berücksichtigt werden“, sagte eine Sprecherin von Däubler-Gmelin gestern. Mit dieser Vorbehaltslösung könnte auch Ulrich Goll leben, hieß es gestern aus Stuttgart. Zumal auch die Regelung im Südweststaat nicht allzu scharf ist. Bisher kam die nachträgliche Sicherungsverwahrung kein einziges Mal zur Anwendung. Zwei Fälle werden derzeit geprüft. In acht Fällen wurden Vorschläge der Gefängnisleitungen schon im Ministerium abgelehnt.
Im Bundesrat beschäftigen sich nun die Ausschüsse mit dem Vorstoß. Im Mittelpunkt dürfte dabei vor allem die Frage stehen, ob Ersttäter mit erfasst werden sollen. Dies lehnen insbesondere die Grünen ab. Und auch das Stuttgarter Landesgesetz sieht dies bislang nicht vor.
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