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Die Revolution musste kommen

Selten wird so anschaulich, dass die Kunst der Gegenwart von der Moderne zehrt, wie in der Ausstellung „Paarungen“ im Kunstforum der Grundkreditbank. Mit ihr kehrt die Sammlung der Berlinischen Galerie nun in die Stadt zurück

Man hat einen Weg gefunden, das Fass der Vergangenheit aufzumachen

Wenn zwei sich paaren, sollten sie etwas gemeinsam haben. Probleme zum Beispiel. Große Probleme verbinden zurzeit die Berlinische Galerie, die seit 1998 keine Ausstellungsräume mehr hat, und die Berliner Volksbank, die deshalb ihre Kunstförderung schon stark einschränken musste. Zusammen aber hatten sie die gute Idee, im Kunstforum der Grundkreditbank, das inzwischen der Volksbank gehört, der Sammlung des Museums einen Ort zu geben. So ist sie von ihrer letzten Tour nach Prag gleich an die Budapester Straße gezogen.

Das Schreckgespenst des Landesmuseums sind die Neuberliner, eine Million seit ihrem Abtauchen ins Depot: Die ahnen ja gar nichts von der kulturellen Gemengelage der Stadt, die noch immer an ihren Altlasten aus utopischen Bruchstücken der Weimarer Republik, den kulturellen Verwüstungen des Faschismus und dem speziellen Flair der geteilten Stadt schleppt. Denen kann man Berliner Kunstgeschichte nun auch nicht einfach als pädagogisches Programm verordnen. Mit „Paarungen“ hat die Berlinische Galerie einen unterhaltsamen Weg gefunden, das Fass der Vergangenheit aufzumachen und Botschaften in die Gegenwart zu schicken.

Der Konstruktivismus zum Beispiel, von russischen Künstlern in den Zwanziger- und Dreißigerjahren in die Stadt gebracht, stiftet in den „Paarungen“ visuell einleuchtende Verbindungen zur Architektur und Konzeptkunst. Nicht umsonst wurde der Konstruktivismus auch Ingenieurskunst genannt, suchte er doch aus der Ästhetik Brücken heraus in die Gestaltung der sozialen Wirklichkeit zu schlagen. Das meiste blieb Utopie. Jetzt aber sieht man, wie die kühnen Überspannungen großer Räume, die Naum Gabo, der Erfolg nur als Maler und Bildhauer, nie aber als Architekt hatte, 1931 für den Palast der Sowjets in Moskau vorschlug, wiederkehren. In den Hallen, die Gerkan, Marg und Partner 1994 für das Großprojekt Lehrter Bahnhof entwickelt haben. Die Grundrissfigur des Jüdischen Museums von Daniel Libeskind, dessen Zacken in der Verlängerung ein Netz von Verknüpfungen in die Stadt hinausschicken, findet ein Echo in einer Zeichnung von Hans Uhlmann, der in den Fünfzigerjahren die abstrakte Konstruktion weitertrieb. Dem „Synthetischen Musiker“ von Iwan Puni, der den Klang 1921 durch Rhythmisierung der Bildelemente zu visualisieren trachtete, liegt eine Klangskultpur von Ulrich Eller zu Füßen: Glasscheiben schützen dort nicht Bilder, sondern Lautsprecher. In den Stimmen unter Glas scheint die Idee vom „Synthetischen Musiker“ eine unmittelbare und schlanke Transformation erfahren zu haben. Kunst bekommt etwas Familiäres, als ob sich Enkel und Großvater bestens verständigen.

Manchmal staunt man auch über die Nähe der ästhetischen Sprache. Berlin ist die Stadt, in der der Expressionismus zum ästhetischen Wiedergänger wurde. Vor dem Kriegsgott „Blinde Macht“, den Rudolf Schlichter 1937 als Menetekel malte, steht eine grob behauene Holzskulptur von Hans Scheib: „Du musst doch bewaffnet sein!“ heißt das knüppelschwingende Männchen. Doch wo Schlichter mit allegorischen Formen nach der Geschichte griff und einer ganzen Zivilisation ihre Zerstörung vorhielt, hat sich fünfzig Jahre später wieder alles ins Subjekt verlagert. Klüger scheint die Menschheit nicht zu werden, ist das melancholische Fazit der Beziehung.

Für das Architekturbüro von Albert Speer fotografierte Max Baur 1939. Die Monumentalität und Kälte der Neuen Reichskanzlei dokumentierte er sachlich und in jener Menschenleere, als ob die Neutronenbombe schon gefallen sei. Daneben hängen Fotos vom Thälmann-Denkmal, die Ulrich Wüst 1990 aufgenommen hat. Verwandt ist das Pathos der Inszenierung von Macht.

Den Clou der Ausstellung „Paarungen“ bildet die „Art Show“ von Edward und Nancy Kienholz, die 1973 mit einem DAAD-Stipendium in die Stadt kamen und als Amerikaner in Berlin blieben, sozusagen als Pop-Inkarnation der Schutzmächte. An der „Art Show“ arbeiteten sie mehrere Jahre lang und baten Insider des Kunstbetriebs in den USA und Deutschland, Künstlerfreunde, Kritiker und Museumsdirektoren, als Modell für ihre Skulpturen herzuhalten. Die sind nun als Betrachter über die ganze Ausstellung verteilt, mit eingebauten Tonbandzitaten. Sie sehen weniger nach Prominenz denn nach Hippie, Trash und Elektromotor aus. Zum einen legt diese Spiegelung der Infrastruktur des Kunstbetriebs interne Inszenierungen und Machtspiele bloß; zum andern aber amüsiert sie sich damit, Kunstbetrachtung mit der Lässigkeit eines Besuchs im Supermarkt zu beschreiben.

Kienholz’ Gegenspieler ist Anton von Werners Bild „Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten“ von 1908, das als Illustration für die Geschmacksniederungen des Kaiserreichs eine ganz eigene Karriere gemacht hat. Angesichts der satten Selbstgefälligkeit, in der Werner die Honoratioren der Gesellschaft porträtiert, ist es noch immer ein schlagendes Argument, dass eine Revolution kommen musste. In der Geschichte, das zeigt die Ausstellung „Paarungen“ auch, ist die Berlinische Galerie besser sortiert als in der zeitgenössischen Szene. Der Hang, die klassische Moderne hochzuhalten, lässt sich nicht verleugnen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 14. April, Di–So 10–18 Uhr, Kunstforum in der Grundkreditbank, Budapester Straße 35, Tiergarten

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