„Ich bin einer der Stürmer“

Der deutsche Film als Mannschaftsspiel: Tom Tykwer über die neue Berlinale, Erfolgsdruck und seinen Eröffnungsfilm „Heaven“

Interview THOMAS WINKLER

taz: Herr Tykwer, Ihr Film „Heaven“ eröffnet heute die Berlinale. Haben Sie Angst vor heute Abend?

Tom Tykwer: Nein, Nervösität wäre der passendere Begriff.

Dass die deutschen Beiträge im Wettbewerb von der Kritik verrissen werden, ist Tradition.

Erstens gibt es nun eine neue Berlinale-Leitung, und diese neue Atmosphäre hat sich schon im Vorfeld enorm bemerkbar gemacht. Zweitens war unsere Produktionsfirma X-Filme bereits zwei Mal im Wettbewerb vertreten, mit „Mein Leben ist eine Baustelle“ und „Stille Nacht“, und wir haben dabei positive Erfahrungen gemacht. So gesehen, sind wir die Ausnahme von dieser angeblichen Regel.

Die Haltung gegenüber den deutschen Filmen bei der Berlinale war früher eher: Mal sehen, wie schlimm es wird. Jetzt habe ich das Gefühl, die Haltung ist: Das könnte richtig gut werden. Das liegt daran, dass die Festivalleitung selbst mit Lust bei der Sache ist und deutsche Filme nicht wie ein Alibi behandelt. So sind wir mit „Heaven“ nicht der einzige deutsche Beitrag, sondern Teil einer Truppe. Das ist jetzt ein Mannschaftsspiel, und ich bin nur einer der Stürmer.

Also lag das gespaltene Verhältnis des deutschen Films zur Berlinale eher in der Festivalleitung begründet als in der überkritischen Presse?

Es gab da eine wechselseitige Dynamik. Wenn jemand einen bestimmten näselnden, naserümpfenden, angeödeten Modus über Deutschland und seine Filme vorgibt, dann ist es schwer, dem zu widerstehen.

Was hat sich unter Kosslick geändert? Duzt man sich?

Ich kenne Kosslick schon sehr lange. Er ist jemand, dem es schwer fällt, irgendjemanden zu siezen. Trotzdem hat es zwischen uns immer eine gesunde, professionelle Distanz gegeben, weil wir oft genug schwierige Finanzierungssituationen durchzustehen hatten. Aber es gibt eine parallele Entwicklung: In dem Maße, in dem seine Filmstiftung gewachsen ist, ist auch X-Filme zu dem geworden, was es heute ist. Natürlich weiß man da, was man aneinander hat.

War früher alles schlimmer?

De Hadeln war nie so offen. Es gab früher immer eine bürokratische Distanz und keine Herzlichkeit. Wenn der Film gefiel, dann wurde einem die Gnade zuteil, teilzunehmen. Ein ganz entscheidender Unterschied ist: Kosslick und seine Truppe haben von Anfang an nach einer vielseitigen Gruppe von Filmen gesucht, die Deutschland im Wettbewerb und im sonstigen Programm repräsentieren. Früher hat sich alles auf einen Film fokussiert. „My Sweet Home“ von Filipos Tsitos im letzten Jahr, das war doch ein schöner Film …

der im Wettbewerb verbraten wurde.

Klar. Der hätte im Wettbewerb laufen können, wenn da noch drei andere Filme gewesen wären, die unterschiedliche Dimensionen von deutscher Filmarbeit abstecken. Aber der Film war völlig überfordert mit dieser Last, Deutschland zu repräsentieren. Ich bin ja auch froh, dass ich die Last nicht allein auf meinen Schultern habe.

X-Filme wurde vor bald acht Jahren in der Tradition von United Artists als selbst verwalteter Heimathafen für Filmemacher gegründet. Mittlerweile ist man zum Global Player gewachsen.

Na ja, das ist übertrieben. Als Global Player verstehe ich jemanden, der mit seiner Ware jongliert. Das machen wir nicht. Wenn wir einen Film machen, dann machen wir den vor allem aus inhaltlichen Gründen. Gott sei Dank können wir es uns inzwischen auch eher leisten, einen Film aus inhaltlichen Gründen nicht zu machen, obwohl es finanziell besser wäre.

Welche Erwartungen an X-Filme haben sich erfüllt, welche sind enttäuscht worden?

Ich hatte die Vorstellung, dass sich mehr kreative Leute bei uns tummeln würden, dass X-Filme eine Begegnungsstätte werden würde. Aber das haben wir einfach nicht geschafft. Denn Filmemacher terrorisieren Produktionsfirmen, indem sie ununterbrochen Arbeit erzeugen. Und dann sitzen sie nölend im Sessel und sind sauer, dass die Arbeit nicht gemacht wird und die Produzenten nicht sehen, wie genial sie sind. Da muss man sich beschränken: Wir haben ja schon drei von diesen potenziellen Stressmachern bei der Gründung in die Firma mit reingebracht, und da sind ja auch einige dazugekommen.

Besteht die Gefahr, dass die Firma zu groß wird und ihre Identität verliert?

Es ist nicht mehr so, dass wir uns jede Woche zusammensetzen. Es werden immer mehr Mitarbeiter, jetzt haben wir auch noch einen Verleih. Ich denke, man muss diese Gefahr immer thematisieren. Sonst ist man der Spielverderber.

Das eine oder andere Mal sind wir zu idealistisch in einen Film reingegangen, haben das Budget überzogen, uns selbst keine Gage gezahlt und haben irgendwann gemerkt: Die Firma ist eigentlich pleite, und wir haben auch privat kein Geld mehr. Dann hatten wir Glück und waren erfolgreich, aber wir haben gemerkt, das geht so nicht weiter.

Andererseits wollen wir auf keinen Fall in die Spirale kommen, dass man Filme macht, nur damit das Geld in Bewegung bleibt. Wenn die Mächte des Marktes darüber entscheiden, wann wir einen Film drehen, dann läuft etwas schief. Wir haben bisher noch keinen Film gedreht, weil wir mussten, was ja ganz viele andere Produktionsfirmen tun müssen, weil sie schon 300.000 Mark in die Entwicklung eines Film gesteckt haben und das Geld verlieren, wenn sie den Film nicht machen. Also geben sie lieber acht Millionen aus und machen einen mittelmäßigen Film, damit der Geldfluss in der Firma wieder reaktiviert wird und man sich vor der Pleite rettet.

Wie sehr ist X-Filme abhängig von einem einzelnen Film wie „Heaven“?

Wir haben zwar eine beschützende Partnerschaft mit dem Senator-Verleih, aber natürlich ist „Heaven“ der teuerste Film, den wir je gemacht haben. Da gibt es einen Erfolgsdruck.

Aber man darf nicht unterschätzen, dass wir im Ausland mit unseren Filmen nicht nur präsent sind, sondern dort tatsächlich Geld verdienen. Wenn wir in Deutschland nur die Kosten decken, dann wird der Gewinn eben im Ausland gemacht. Bisher klappt das ganz gut. „Der Krieger und die Kaiserin“ hat so funktioniert, und vor wenigen Wochen erst hat „Winterschläfer“ den break even point erreicht, und ich habe meine Regie-Gage bekommen. Fünf Jahre hatte ich keine einzige Mark gesehen.

Alle meine Filme haben letztlich Gewinn gemacht und sind so in meinen Augen erfolgreich. Jeder Film, der kompromisslos gemacht ist und trotzdem kein Geld verliert, ist ein Erfolg.

Als X-Filme gegründet wurde, hat ihr Kollege Wolfgang Becker zur taz gesagt: „Alles wartet auf den neuen Messias.“ Ein paar Jahre später wurden Sie es selbst mit „Lola rennt“…

Ach nee, Quatsch. Ich denk wirklich nie darüber nach, dass ich der Messias bin. Man nimmt das nicht ernst, wenn man das liest. Man hat doch die Innenperspektive, die damit absolut nichts zu tun hat.

Sie gelten aber als Retter des deutschen Films. Das hat „Lola rennt“ angerichtet.

Es gibt immer Einzelphänomene, die hervorstechen. Ich halte das eher für eine Orientierungsmarke: Man braucht solche Filme, aber sie sind nun mal Ausnahmen. Das Ziel muss eher sein, ein stabileres Mittelfeld zu haben.

Das meine ich nicht unbedingt qualitativ, sondern im Hinblick auf Besucherzahlen. Die Highlights kann man nicht kalkulieren. „Lola rennt“ hat – wie auch immer – einen gewissen Zeitgeist getroffen. Es ist unmöglich, so etwas zu reproduzieren. Man kann nur den Film machen, an den man glaubt.

Auf „Heaven“ lastet allerdings ein ganz anderer Druck.

Natürlich soll der Film der Tatsache standhalten, dass er der Eröffnungsfilm der Berlinale ist. Der Film soll das aushalten. Unabhängig davon, wie man den Film subjektiv bewertet, möchte ich aber, dass der Film den selbst gesetzten Maßstab einlöst.

Sie meinen die handwerkliche Qualität?

Es sollte ein opulenter Film werden, trotz all seiner Klarheit und spartanischen Struktur. Und ich glaube, da bin ich mittlerweile selbstbewusst genug, dass ich diese Herausforderung gemeistert habe. Aber ich bin mir sicher, dass der Film inhaltlich nicht für jeden schlüssig ist.

„Heaven“ ist episch angelegtes Erzählkino, eine Abkehr von Ihrem eher experimentellen Stil. Fällt man bei größeren Budgets automatisch zurück in traditionelle Ästhetiken?

Das muss man vom Film abhängig machen. Unser Bedürfnis nach einer bestimmten Erzählform hat sich ja nicht verändert. Man liest ja auch noch gerne Proust oder Melville.

Das Problem bei jemandem wie Greenaway ist, dass da zwanghaft ausgebrochen wird aus der narrativen Struktur. Da denke ich nur: „Ja ja, du weißt alles besser.“ Der neue Lynch-Film macht das auch. Er ist faszinierend, aber er ist vom ersten Moment außerhalb der narrativen Linie. Es geht um die Destruktion dieser Linie. Das ist mir einen Tick zu viel Theorie und hält auf Distanz.

„Heaven“ sehe ich als einen Film, der konsequent vom narrativen, klar erzählten Krimi ins Abstrakte führt, der langsam aber sicher ein Tau nach dem anderen loslässt und zu schweben beginnt, als wäre es ein Ballon, der sich von bestimmten Notwendigkeiten und Erklärungsmodi befreit. Das war das Experimentelle für mich an dem Film: Die Figuren befreien sich, entfernen sich vom Diesseits, und der Film macht das mit. Ich finde es wichtig, dass man über Figuren geleitet wird, so lange man etwas über Menschen erzählen will. Ich frage mich, wie ich Figuren ernst nehmen kann und sie nicht als theoretisches Element einer abstrakten Form betrachte.