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Wowi in the Slaughterhouse

Vom nettesten Schwulen der Republik zum Pferdemetzger: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat eine erstaunliche Medienkarriere hinter sich, seit er es wagt, mit der PDS zu koalieren

von ROBIN ALEXANDER

Der 17. Januar war nicht der Tag des Klaus Wowereit. Die rot-rote Koalition machte bei der Wahl ihrer Senatoren keine gute Figur. Wer die Senatsbank genau beobachtete, sah, wie der Regierende Bürgermeister wieder und wieder den Kopf in den Nacken legte, als suche er etwas. Er suchte und fand – Georg Gafron. Der kleine Schnauzbart präsentierte sich oben auf der Pressetribüne – stehend, so dass Wowereit und Co. seiner auch auf jeden Fall ansichtig wurden.

Wer nicht in der Hauptstadt lebt, muss wissen: In Berlin spricht man von drei Sorten Medien. Von seriösen Medien, Boulevardmedien und Gafron-Medien. Der gut ausgelastete 47-Jährige betreibt den Fernsehsender TV Berlin, Radio 100,6 und die tägliche Springer-Gazette B. Z. Aus allen Rohren feuert er immer auf das gleiche Ziel: Rot-Dunkelrot, wie die Koalition von PDS und SPD bei ihm heißt. Nachrichten aus dem Rathaus präsentiert die B.Z. ihren knapp 500.000 Lesern dann so: „Große Teile der Bevölkerung durchschauen die Absicht, die hinter dem Schleifen des Benjamin-Franklin-Universitäts-Klinikums, des Polizeiorchesters und der Reiterstaffel steht. Die SED marschiert in den Westen ein.“ Was Gafron zu zwei Sätzen verdichtet, wird für Rot-Rot tatsächlich zum Problem. Der Unwille, von den Nachfolgern der SED quasi aus dem Osten regiert zu werden, ist in Chefetagen der Westberliner Redaktionen groß.

Reiten für Berlin

Vor allem ein Blatt übernimmt die Opposition gegen den neuen Senat und dessen strikten Sparkurs: Nicht die CDU sammelte 160.000 Unterschriften gegen die geplante Umwandlung eines Universitätsklinikums in ein gewöhnliches Krankenhaus, sondern Springers Berliner Morgenpost. Aber erst wenn zur Abwehr von Kommunismus und Sparbeschlüssen die Tierliebe hinzutritt, geht es in Berlin wirklich zur Sache: „Lasst uns unsere Reiterstaffel!“, überschrieb die B. Z. den Plan, eine teure berittene Polizeieinheit abzuschaffen, und brachte alle 44 Pferde im Porträt. Die Ostkonkurrenz Berliner Kurier sorgte sich gar: „Arme Polizei-Pferde müssen zum Metzger!“ Zwar kämen die medikamentös behandelten Tiere für gute deutsche Wurst niemals in Frage, aber solche Fakten stören, wenn man nach zehn bangen Tagen jubeln kann: „Innensenator garantiert: Alle Polizei-Pferde bleiben am Leben.“ Das war nur durch Bild zu toppen, die Stuten-Spezialist Dieter Bohlen („Schafft nicht die Reiterstaffel ab – schafft Gysi ab!“) und den mit Rotkehlchen gut vertrauten Tierbeobachter Vitus B. Dröscher („Pferd und Reiter bilden eine soziale Gemeinschaft weit oberhalb aller sozialistischen Doktrin“) ins Feld führte.

Zwölf Jahre nach der Vereinigung nutzen Ost- und Westberliner immer noch unterschiedliche Medien. Die im Osten tonangebenden Blätter Kurier und Berliner Zeitung gehen deutlich milder um mit Wowereit, Gysi und Co. als Morgenpost, Tagesspiegel und B. Z. im Westen. Gemeinsam haben alle Blätter eine spezifisch berlinerische Schizophrenie: Sie fordern seit Jahren Einsparungen im übergroßen Haushalt der Stadt, aber jede konkrete Maßnahme wird als unüberlegt oder ungerecht bekämpft. In den Westblättern fällt die Kritik zurzeit ätzender aus. Die heftigen Angriffe auf den ersten Senat unter Beteiligung der PDS haben die Frontleute des Bündnisses überrascht. „Bombardement“ nennt Klaus Wowereit, ein eifriger und übergenauer Zeitungsleser, intern derart ungnädige Berichterstattung. Dabei wirbt er an allen Fronten um Verständnis für sein rot-rotes Experiment. Auf dem Neujahrsempfang des Springer-Verlages flirtete der Regierende demonstrativ mit Verlegerwitwe Friede. Aber Wowereits Charmeoffensiven stoßen auf taube Ohren. Auf taube Ohren aus Hamburg, wie es in der Senatskanzlei süffisant heißt. Mit Wolfram Weimer (37) und Jan-Eric Peters (37) lenken seit Dezember zwei Neu-Berliner die altehrwürdige Morgenpost. Wowereit knallten sie beim Antrittsinterview unter anderem die Frage „Wie viele Flaschen holen Sie eigentlich noch in Ihren Senat?“ vor den Latz – und ließen sie im Blatt dann doch weg.

Rotwein-Gespräch

Springers „Elbchausseeblick“ (Senatskanzlei) ist jedoch nicht Wowereits einziges Problem. Auch ein langes Rotwein-Gespräch mit Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo brachte ihn nicht weiter. „Giovanni hat eine PDS-Phobie“, konstatierte Wowereit frustriert gegenüber seinen Mitarbeitern.

Wowereit, der in Prozenten und Mandaten denkt, versteht nicht, dass ein aus München gekommener Chefredakteur die Mehrheitsbeschaffer des Regierenden an historische Schuld und Verantwortung erinnert. „Es ist am ehesten eine Besonderheit des Tagesspiegels, dass wir die moralische Frage stellen, die man in Berlin sonst nicht allzu laut hört“, sagt di Lorenzo. „Mich wundert, dass das so wenige tun.“

Mission Aufarbeitung

Das Problem, dass sich mit dem Tagesspiegel ausgerechnet ein Westberliner Blatt beinahe missionarisch der Aufarbeitung der DDR-Geschichte verschrieben hat, mag di Lorenzo nicht sehen. Tatsächlich spürt man eine Art kulturelle Fremdheit zwischen dem in Westberlin verankerten Blatt und dem ersten Senat, der nur im Ostteil der Stadt eine Mehrheit hat. „Wer seid ihr, Genossen?“, fragt der Reporter Stephan Lebert und findet in der Berliner PDS nur Stasi und „Kleinsozialisten Ost“ – selbst die Frauen sind „unnahbar, seltsam kühl“. Bebildert ist die Geschichte mit dem 1949 errichteten Sowjetischen Ehrenmal in Treptow. Di Lorenzo bestreitet allerdings vehement, nur die Erwartung der Westberliner Leserschaft zu bedienen. Auf seinen Leitartikel „Rot-Rot in Berlin: Warum regt sich keiner auf?“ habe er viele positive Reaktionen aus den Ostbezirken erhalten.

Doch Wowereit ist in seiner Eitelkeit verletzt. Obwohl Rot-Rot kaum präsentables Personal in den Senat locken konnte und den Start verpatzte, fühlt sich der Regierende persönlich ungerecht behandelt. Groß war die Begeisterung, als im Frühjahr des vergangenen Jahres der todlangweilige Eberhard Diepgen vom Newcomer gestürzt wurde, der als erster bekennender homosexueller Spitzenpolitiker und Gesellschaftsmensch für Geschichten und Geschichtchen taugte. Solche Geschichtchen werfen dem „Regierenden Partymeister“ (Tagesspiegel) dieselben Medien jetzt vor. Senatssprecher Michael Donnermeyer erklärt cool, dieser „Pendelausschlag“ sei unausweichlich, dramaturgisch folge dem Aufschwung eben der Sturz. Aber am Regierenden selbst prallt das nicht so ab. Den immer und immer wieder veröffentlichten Schnappschuss, der ihn mit Sektflasche und einem roten Damenpumps zeigt, kommentiert er genervt: „ Heute würde ich den Schuh sofort fallen lassen.“

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