: „Man muss Inhalte in Politik umsetzen“
Der Politologe Claus Leggewie rät den Globalisierungskritikern, nach Verbündeten in den Institutionen zu suchen
taz: Wissen Sie nun, nach Porto Alegre, wie eine bessere Welt aussehen könnte?
Claus Leggewie: So wie diese Bewegung: heterogen, aber um dieselbe Sache bemüht; transnational, aber mit regionalen Schwerpunkten; mit unterschiedlichen Zielen, aber bereit zur Diskussion. Bewegungen mit eindeutigen Zielen wie noch im 20. Jahrhundert gibt es nicht mehr. Die Kritiker der Globalisierung möchten nicht ein Paradies realisieren, sondern den schlimmen Zustand der Welt etwas verbessern.
Warum kann es heute keine klaren Ziele für gesellschaftliche Veränderungen mehr geben?
Weil die Diskrepanz zwischen dem Wünschbaren und der Realität so groß ist, dass man sich mit der Formulierung einer großen Utopie leider fast lächerlich macht. Die Haltung ist pragmatischer und realistischer geworden, und im Gedenken an die gescheiterten Utopien stimmt mich das auch hoffnungsfroh.
Die Diskussionen über eine neue politische Weltordnung hielten sich sehr in Grenzen. Wird Streit vermieden, um den Zusammenhalt der Bewegung zu sichern?
Ich glaube nicht. Die Schwäche der Bewegung liegt höchstens darin, dass sie zwar sehr viel Know-how gesammelt hat über Patente, Saatgut, Finanzmärkte und ähnliche Themen. Aber sie weiß nicht so genau, wie sie ihre Inhalte in Politik umsetzen, also in institutionelle Form bringen soll. Über das Funktionieren von Institutionen und Demokratie müssen sich die Globalisierungskritiker mehr Gedanken machen.
Wie kommen Attac & Co aus dieser Sackgasse heraus?
Zum Beispiel, indem man zur Kenntnis nimmt, dass auch bei den Feinden, der Weltbank etwa oder der Welthandelsorganisation, aufgeklärte Technokraten sitzen, die sehr genau hinschauen, was in Porto Alegre gesagt wurde. Und die kritische Ideen in ihre Institutionen einspeisen. Die Aufklärungsbereitschaft auf der transnationalen Ebene ist bisweilen höher als auf der nationalen.
Beim Weltsozialforum war eine Strömung vertreten, die den Nationalstaat wieder gestärkt sehen möchte, um die jeweilige Regierung besser in die Pflicht nehmen zu können. Was halten Sie davon?
Das ist zu einseitig. Die Bewegung muss den gesamten Koffer ihrer Handlungsmöglichkeiten auspacken: lokal, national und transnational.
Die Globalisierungskritiker sagen von sich selbst, dass die Bewegung nur wegen ihrer extrem offenen Strukturen in so kurzer Zeit so gewachsen ist. Könnte sie deshalb nicht ebenso schnell wieder zerfallen?
Wir leben in einer Welt der Netzwerke. Die Heterogenität ist die Stärke dieser Bewegung. Kommandostrukturen, Tabuisierung von Themen, Ausschluss von Personen – alles das wäre schädlich. Mit einer Ausnahme: der Ablehnung von Gewalt.
Kann denn ein so unordentlicher Haufen die politischen Institutionen herausfordern?
Die Nationalstaaten und die transnationalen Regime wie der Internationale Währungsfonds stecken in einer tiefen Legitimationskrise. Die Globalisierungskritiker sollten deshalb auch die liberale oder besser: linkslibertäre Kritik am Welthandelssystem ausbauen. Die neoliberale Elite verstößt ja gegen ihre eigene Ideologie: Sie behauptet, den freien Wettbewerb zu stärken. In Wirklichkeit schafft sie Monopole, die Wettbewerb und Fortschritt behindern. Der angebliche Freihandel bedeutet Diskriminierung für die Armen und Monopolisierung für die Reichen. Wenn sie es richtig anpackt, könnte diese Bewegung eine Volksbewegung werden. Denn populär sind viele ihrer Themen. Vielleicht merken das dann auch irgendwann Parlamentarier und grüne Minister wie Renate Künast und Jürgen Trittin. INTERVIEW: HANNES KOCH
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