: Dracula ist unschuldig
Die Geschichte des Fürsten Vlad Dracul wurde so oft verdreht, bis die Kasse klingelte. Jetzt soll in Schäßburg ein Dracula-Vergnügungspark entstehen
von KENO VERSECK
Hie facht sich an gar eingraussenliche erschöckenlichehystorien von dem wildenwütrich Dracole wayde. Wie er dieleut gespist hat. Und gepraten.(Anonym, Nürnberg 1499)
Dracula wurde in einem deutschen Altenheim in Transsylvanien geboren. Die Umstände seiner Geburt waren bizarr, die seines Werdegangs verschlungen. Alles begann im Jahr 1976 auf der mittelalterlichen Festung zu Schäßburg. Das Haus am Museumsplatz Ecke Pfarrgasse diente damals noch als Altenheim der evangelischen Gemeinde der Siebenbürger Sachsen. In besagtem Jahr renovierten Bauarbeiter das Haus und stießen im Saal des ersten Stockes auf ein Wandbild aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigte vier Personen. Drei waren im damaligen siebenbürgischen Stil gekleidet, die vierte Gestalt hingegen trug einen Turban. Als der Schäßburger Museumsdirektor Gheorghe Baltag von dem Turban erfuhr, hatten die Bauarbeiter das Bild schon halb zerstört. Turbane, das wusste Baltag, hatten im Mittelalter die walachischen – also die südrumänischen – Adligen getragen. Tatsache war, dass der walachische Fürst Vlad Dracul von 1431 bis 1435 im Schäßburger Exil gelebt hatte. Wo genau, hatte keiner der sächsischen Chronisten erwähnt. Auch war das Haus erst hundert Jahre nach Vlad Draculs Schäßburger Zeit erbaut und das Bildnis wiederum hundert Jahre später gemalt worden.
Aber Baltag trotzte den Tatsachen. Der Mann auf dem Bild musste Vlad Dracul sein. Baltag publizierte seine Erkenntnisse 1977 im Magazinul istoric. Die Veröffentlichung setzte die Schäßburger Stadtverwaltung unter Zugzwang. Die Genossen wussten, dass der Diktator Ceaușescu, selbst gebürtiger Südrumäne, walachische Beiträge zur Weltgeschichte überaus schätzte. Also warfen sie die Alten kurzerhand aus ihrem Heim und montierten ein Schild an die Außenwand: „Hier wohnte von 1431 bis 1435 Vlad Dracul“. Im Haus richteten sie 1978 das Restaurant „Vlad Dracul“ ein, nebst einer Ausstellung mit dem Titel: „Schäßburg – Zeitweilige Hauptstadt des Wojewoden Vlad Dracul“.
Für Draculas Inszenierung ist Schäßburg der perfekte Ort: Lieblich grünende Hügel rahmen das Städtchen ein. Auf einem steht eine mittelalterliche Burganlage, dazu verwinkelte Gässchen, uralte Gemäuer, deren Steine von vielen Jahrhunderten erzählen.
Doch die Geschichte hatte noch einen Haken: Nicht Vlad Dracul war die historische Vorlage für jenen blutdurstigen Dracula gewesen, sondern dessen Sohn Vlad Tepes, also Vlad der Pfähler. Er – und niemand anders – war in den Jahren seiner Herrschaft über die Walachei, 1456 bis 1462, durch schreckliche Grausamkeiten berühmt geworden. Aber Dracul klang ungleich besser als Tepes. Darüber waren sich die mittelalterlichen Siebenbürger Sachsen einig gewesen. Ihnen hatte Vlad Tepes die Handelswege durch die Walachei abgeschnitten, manche waren auf seinen Pfählen geendet. Die Überlebenden aber verbreiteten in ganz Europa von Rachsucht diktierte Gräuelgeschichten, in denen der Pfähler „Dracole wayde“ hieß. Von diesen Schauergeschichten ließ sich Bram Stoker inspirieren, der Schöpfer des Romans „Dracula“ von 1897.
Dem Ziel, Schäßburg zur alleinigen Dracula-Hauptstadt zu machen, haben sich die Stadtväter mit Leib und Seele verschrieben. So enthüllten sie 1996 neben dem Bürgermeisteramt eine Büste von Vlad dem Pfähler. Während des pompösen Historienspiels marschierten mittelalterlich gekleidete Soldaten auf. Schäßburgs bessere Gesellschaft feierte den walachischen Fürsten als grausam gerechten Herrscher. Er hatte die korrupten Großgrundbesitzer, die Diebe und die Türken zu Tausenden aufgespießt. Heute lassen sich frisch vermählte Hochzeitspaare in Schäßburg vor jener Büste ablichten. Jeden Sommer organisieren die Stadtherren ein großes Mittelalterfestival. Von Zeit zu Zeit finden im Gasthof „Vlad Dracul“ okkulte Kongresse statt, zu denen die Koryphäen unter den Vampirologen anreisen. Dann streiten exaltierte Gerichtsmediziner beim Mittagessen über das Pfählen, so wie im Mai vergangenen Jahres.
Aber sehr zum Leidwesen der Stadtverwaltung haben die Touristen Schäßburg immer noch nicht in großer Zahl erstürmt. Um ihnen den Reiz des Dracula-Mythos gegenwärtiger zu machen, holte der rumänische Tourismusminister Dan Matei Agathon im vergangenen Jahr zum großen Schlag aus: In Schäßburg soll ein „Dracula-Vergnügungspark“ erstehen, ein riesiges Dracula-Disneyland. Ende vergangenen Jahres legte der Tourismusminister seinen „Dracula-Plan“ dem Parlament vor. Eine Sondersitzung über das „Regierungsprojekt von nationalem Interesse“ wurde anberaumt. Auf der chaotischen Sitzung ging es darum, ob die Dracula-Legende als solche die nationale Würde der Rumänen beleidige. Zahlreiche Abgeordnete verloren die Kontrolle über sich. Schließlich stieg der Tourismusminister aufs Podium, blickte aus großen, müden Augen kalt in den Saal und sprach das Schlusswort: „Dracula existiert, ob wir wollen oder nicht.“ Anschließend stimmte eine Mehrheit für den Plan.
Kurz darauf gab der Tourismusminister auf einer Hochebene bei Schäßburg Details bekannt. Hier, inmitten jahrhundertealter Eichen, würden Fantasieschlösser entstehen, unterirdische Verliese und Grotten, Sport- und Golfplätze, Restaurants, Bars, Hotels und Villen sowie ein vampirologisches Kongresszentrum. Kein mordender, nein, ein sanfter, moderner Dracula würde es sein, es werde keinen Satanskult geben, versprach der Minister. Das hörten die anwesenden orthodoxen Priester mit Wohlgefallen. Sie beteten lautstark für das Gelingen des Dracula-Parks. Den 35.000 Schäßburgern versprach Dan Matei Agathon Auslandsinvestitionen, zwei- bis viertausend Arbeitsplätze und eine Million Besucher jährlich.
Doch dann sprang die deutsche Firma, die das Projekt finanzieren sollte, vor einigen Wochen ab. Die Regierung gab daraufhin eilig Dracula-Volksaktien aus. Die Rumänen allerdings trauen der Aktie des Untoten nicht recht. Sie findet kaum Abnehmer. Der Schäßburger Bürgermeister Dorin Danesan hofft, dass Dracula die Stadt dennoch vor dem Bankrott rettet und dass der Bau des Parks, wie geplant, im Frühjahr beginnen kann. Danesan ist ein Verehrer des Pfählers und ein offener Anhänger seiner Regierungsmethoden. Er gerät ins Schwärmen: Wenn so ein Mann wie Tepes herrschte, dann wäre Rumänien endlich ein zivilisiertes Land. Die Diebe, die Wirtschaftsverbrecher, die perversen Pädophilen, die Drogenhändler – es müsste ja nicht gleich der Pfahl sein.
Draußen, neben dem Bürgermeisteramt, blickt der Pfähler aus großen, leeren Augen. Wer genau hinschaut, sieht, dass er mit eisiger Würde grinst.
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