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Planspiel, Punks und Pädagogen

■ Im Landesinstitut für Schule dreht sich für einen Tag alles um Gewalt, um Zivilcourage unter Jugendlichen und um ein Land namens Monolitien

Seit September vorigen Jahres prangt über der Bremer St. Johannes-Schule eine Plakette mit der Aufschrift „Schule ohne Rassismus“. Keine Frage: Das ist eine symphatische Auszeichnung, besagt sie doch, dass mindestens 70 Prozent der Schulbelegschaft – von den SchülerInnen über die Lehrkräfte bis hin zur Putzfrau – durch ihre Unterschrift den Willen bekundet haben, kurz- und langfristig gegen Gewalt und Intolleranz aktiv zu werden. Das Schild am Eingang ist aber trotzdem nicht mehr als ein Zeichen. Es löst keine Probleme.

Der Fachtag, der vergangene Woche im Landesinstitut für Schule (LIS) zum Thema „Gewalt, Rassismus und Zivilcourage unter Kindern und Jugendlichen“ stattfand, war dagegen als Beitrag zur praktischen Konfliktlösung und Konfliktvermeidung gedacht. 150 TeilnehmerInnen aus Bremen und Bremerhaven, zwei Drittel davon Schüler im schönsten Pubertätsalter, lassen sich in drei Arbeitsgruppen zum Nachdenken und Mitmachen anregen. Mitleid mit den AG-Leitern ist Fehl am Platz, denn – passend zum Thema – zeigen sich die Jugendlichen entgegen verbreiteter Vorurteile gleichermaßen diszipliniert und engagiert. Vielleicht liegt es an der willkommenen Abwechslung vom Schulalltag, vielleicht aber auch daran, dass sie die Probleme, die hier verhandelt werden, meist aus eigenem Erleben kennen.

Helge etwa, der Punk mit dem roten Irokesenschnitt, könnte aufgrund seines auffälligen Äußeren schon des Öfteren auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen sein. Im Rollenspiel sieht er sich mit einer feindlich gesinnten Gang konfrontiert, die ihm den Zutritt zum Bahnhof verwehren will – gewaltsam versteht sich. Ob die beiden ergrauten Pädagogen, die zur Intervention vorgesehen sind, ihre Aufgabe lösen können? Offenbar ist etwas schief gegangen, denn an Stelle des kleinen Menschenknäuels findet sich nun ein großes. Rolf-Dieter Baer, der die AG „Cool sein, cool bleiben“ leitet, klärt auf: Die Herren hätten sich lieber an das Opfer wenden statt offen mit den Tätern anlegen sollen. Im unterhaltsamen Plauderton präsentiert der Frankfurter Polizeioberkommissar lebensnahe Situationen und mögliche Handlungsstrategien.

Unterdessen wird es vor den Türen des Seminarraums laut. Die Teilnehmer des Planspiels „Monolitien“ demonstrieren gegen ihre Regierung und die diskriminierenden Gesetzen der „Monolitische Fortschrittspartei“ (MFP). Wer blaue Augen habe, müsse einen blauen Punkt auf der Stirn tragen, hatte es geheißen. Das Volk jedenfalls tobt, und der Spaß ist den Teilnehmern anzumerken. Dass sie sich mit demokratischer Courage und Diskriminierung beschäftigen, ist ihnen vielleicht nicht einmal bewusst.

In der AG „Eine Welt der Vielfalt“ geht es ruhiger zu. Hier werden persönliche Fragebögen ausgefüllt und verglichen, die es ermöglichen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen, sich darüber klar zu werden, was die eigene Identität ausmacht und warum. So soll der Respekt dem Anderen gegenüber gefördert werden.

Seit 1994 ist dieses Programm zentraler Baustein zur Toleranzerziehung in Bremen. Wunder darf man von einer Veranstaltung wie diesem Fachtag natürlich nicht erwarten. Befragt nach der Wirksamkeit der Seminare sind sich die SchülerInnen einig, dass mehr Kurse nötig währen, um einen selbstsicheren Umgang mit Gewalt und Diskriminierung zu ermöglichen. Rolf-Dieter Baer ergänzt, man dürfe ohnehin nicht den Anspruch erheben, jetzt durch Bremen ziehen und Konflikte schlichten zu können. Auch die Übertragbarkeit von Planspielen wie „Monolitien“ auf die subtilere gesellschaftliche Realität ist äußerst zweifelhaft. Anregungen, wie sich der Titel „Schule ohne Rassismus“ in den Alltag übertragen ließe, bietet dieser Fachtag hingegen reichlich.

Christoph Kutzer

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