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Ein Amerikaner erklärt den Türken Amerika

Weil sein türkischer Verleger vor Gericht stand, reiste der Philosoph Noam Chomsky von Boston an den Bosporus – und weiter nach Kurdistan

ISTANBUL taz ■ Schon lange hatte das vornehme Marmara-Hotel im Zentrum von Istanbul keinen solchen Andrang mehr erlebt. Hunderte von Leuten drängelten sich vor der Drehtür, zornige Hotelboys riefen nach der Polizei, Scheiben drohten zu Bruch zu gehen, und das alles nur, weil ein alter Herr im Veranstaltungssaal des Hotels einen Vortrag hielt. Noam Chomsky, Professor für Linguistik aus den USA und einer der prominentesten Vertreter der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung, war nach Istanbul gereist, weil sein Verleger Fatih Tas, der jüngst ein Buch mit aktuellen Aufsätzen Chomkys veröffentlicht hat, dafür gestern vor den Kadi gezerrt wurde. Ein Akt der Solidarität, aus dem zufällig ein kleines Porto Alegre wurde.

Denn Chomsky referierte im Marmara-Hotel just zum selben Zeitpunkt, als auf Einladung der türkischen Regierung 75 Außenminister der EU und aus islamischen Staaten über Toleranz und freien Meinungsaustausch diskutierten. Da bot es sich an, dem offiziellen Austausch diplomatischer Höflichkeiten ein paar Einsichten des Kommunikationsforschers entgegenzusetzen. Der Grund für die Anklage des Verlegers Fatih Tas war ein Artikel Chomkys über die US-Außenpolitik nach dem 11. September, in dem er auch die amerikanische Unterstützung für den türkischen Krieg gegen die kurdische PKK kritisierte.

Chomsky beschäftigte sich deshalb mit den Medien in Zeiten des Krieges und erklärte seinem geduldigen Publikum, wie Propaganda unter kapitalistischen Bedingungen funktioniert. Wie bei der offiziellen Veranstaltung auch, so kam es im Marmara-Hotel weniger darauf an, was gesagt wurde, sondern darauf, wer alles da war. Wer geglaubt hatte, Chomsky könne höchstens ein paar Altlinke hinter dem Ofen hervorlocken, sah sich mächtig getäuscht. Die Laudatio auf den US-Professor hielt Orhan Pamuk, der zurzeit prominenteste türkische Schriftsteller. Es war so viel Prominenz anwesend, dass selbst Parlamentsabgeordnete im Gang stehen mussten.

Die meisten Anwesenden interessierte auch nicht so sehr der historische Rekurs in die Pressegeschichte oder die kurdische Frage – sie waren gespannt, was Chomsky zum Verhältnis zwischen Erster und Dritter Welt respektive Ländern wie den USA und der Türkei sagen würde. Unter deutlicher Bezugnahme auf die Veranstaltung der Außenminister enttäuschte der Altmeister sein Publikum nicht.

In Anspielung auf Bernard Lewis, der gerade andernorts über die Schwierigkeiten einer Verständigung zwischen dem Islam und dem Westen referierte, erzählte Chomsky eine Anekdote aus der Zeit der Eisenhower-Präsidentschaft in den Fünfzigerjahren.

Bereits damals soll Eisenhower seine Experten gefragt haben, warum die USA im Nahen Osten so verhasst seien und was das mit dem Islam zu tun habe. Ein Bericht des Nationalen Sicherheitsrates habe dann festgestellt, dass in weiten Kreisen der dortigen Bevölkerung der Eindruck vorherrsche, die USA unterstütze korrupte Regime, um sich den Zugang zum Öl zu sichern. Dieser Eindruck, so der Bericht, sei richtig und mit dem Islam habe es nichts zu tun.

Diese Antwort, so Chomsky, ist auch heute noch richtig. Fatih Tas, sein Verleger, wurde übrigens gestern Morgen vor dem Staatssicherheitsgericht unter großer öffentlicher Anteilnahme freigesprochen. Und Chomsky ist schon auf Weiterreise nach Diyarbakir, um sich dort mit kurdischen Organisationen zu treffen. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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