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„Baader war ein rührender Verlierer“

„Es ist gelungen, die Personen emotional erfahrbar zu machen“

taz: Was ist dieser Film eigentlich? Ein Dokudrama, Doku-Fiction, ein Krimi mit Westernelementen, Erzählkino?

Christopher Roth: Ein Dokudrama oder ein Dokumentarfilm ist es auf keinen Fall. Der Film fiktionalisiert bewusst und endet ja auch mit einer relativ dreisten Lüge, um zu sagen: Das ist Fiktion. Damit die Leute hinterher nicht fragen: Was stimmt denn überhaupt an der ganzen Geschichte, die ich da gerade gesehen habe?

Also ist es Kino?

Daniel Cohn-Bendit: Und das finde ich sehr gut. Es sind ja gleich mehrere dreiste Lügen. Die letzte ist nur die offensichtlichste. Auch die Idee, alle drei Berliner Stadtkommandanten zu kidnappen, ist eine.

Roth: Die Idee gab es wirklich mal!

Cohn-Bendit: Ja, aber es sieht so aus, als ob sie das tatsächlich probiert hätten. Ich verstehe, dass Sie keine Lust haben, mit Dokumentarfilmern zu diskutieren, weil Sie da immer in die falsche Ecke kommen. Da ist ein Film, da ist ein Autor, der sich ein Thema des Zeitgeschehens genommen und daraus einen Kinofilm gemacht hat, seine eigenen Fantasien, Projektionen, Wünsche, Ängste darin verarbeitet hat. Man kann hier nicht anfangen zu diskutieren – das stimmt, das stimmt nicht –, das wäre absurd, lächerlich und unfruchtbar.

Herr Roth, haben Sie sich um Stammheim gedrückt, oder wäre das ein anderer historischer Krimi?

Roth: Für mich hat das, was ich über diese ganze Stammheim-Geschichte gelesen habe, eine andere Qualität, mit der ich so gar nichts mehr anfangen kann. Mich hat die erste Zeit der RAF interessiert, weil da alles noch ein Experiment und so unfertig war, dieses Die-Illegalität-Ausprobieren. Ulrike Meinhof hat gesagt, wenn die Zeit reif ist für den Aufstand, dann ist es zu spät, ihn vorzubereiten. Als sie dann im Gefängnis waren und die anderen draußen noch viel gewalttätiger wurden, weil sie plötzlich das Ziel vor Augen hatten, die Gefangenen zu befreien, da ist das für mich gekippt.

Cohn-Bendit: Klar. Dieser Film trifft die ehemalige Linke da, wo sie am schwächsten ist, nämlich bei der anfänglichen Faszination der RAF. Die haben Sie als Filmemacher ja auch selber gehabt und spielen sie aus. Das ist das Spannende und das Problematische an den Film. Ich habe ihn zusammen mit jungen Leuten gesehen. Schon bei dem Film von Volker Schlöndorff „Die Stille nach dem Schuss“ ist in Diskussionen immer gesagt worden, das sei politisch nicht einholbar. Das ist es auch nicht. Und das ist das Gute an dem Film. Da sind Emotionen, da sind Gefühle, er ist aber nicht schlüssig aus der Realität abgeleitet. Schlüssig wird nur gesagt, es gibt hier Waffen, es gibt Zerstörung, es gibt eine Beteiligung dieser Gesellschaft, die die Augen schließt bei Vietnam, es gibt die RAF und den 2. Juni. Das ist der Rahmen. Nur haben sich vielleicht 30 Leute dafür entschieden, den Wahnsinn zu machen, und Abertausende nicht. Es gibt keine rationale Erklärung für die RAF, es gibt nur eine irrationale. Die fängt der Film ein. Er ist auch sehr mutig, denn der Baader ist so unheimlich unsympathisch. Seine Frauenfeindlichkeit ist unerträglich. Und das stimmt! Das ist authentisch. Ich könnte noch fünf Geschichten erzählen, wo er noch schlimmer war. Nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch, wie er junge Lehrlinge manipuliert hat. Aber am Ende ist die Figur gebrochen. Er wird im Lauf des Filmes manchmal zu einem wenn nicht sympathischen, so doch bisweilen rührenden Loser.

Roth: Ich finde Baader nicht durchweg unsympathisch. Ich hoffe auch nicht, dass ihn jeder so findet. Er oszilliert so wahnsinnig. Das Interessante an ihm ist, dass er ja in der RAF eigentlich eine gegensätzliche Entwicklung zu den anderen mitgemacht hat. Ich stelle mir immer vor, er war vorher so ein Autodieb, der mit Mädchen umgehen konnte, immer einen flotten Spruch auf den Lippen hatte und dem am Anfang eigentlich alles relativ egal war. Und dann entwickelt er sich zu dem Revolutionstheoretiker, der schließlich im Gefängnis war. Die anderen waren ja am Anfang die schüchternen Studenten, die beeindruckt waren, dass da wirklich einer ein Auto knacken konnte. Und die haben sich dann immer mehr zu Verbrechern entwickelt.

Cohn-Bendit: Das stelle ich in Frage. Der Typ war faszinierend, weil er ein Drop-out war. Er war kein Proletarier, sondern kam aus einer intellektuellen Familie der Mittelschicht. Dagegen hat er sich aber sehr gewehrt. Interessant ist, dass der Mann, den Gudrun Ensslin vorher verlassen hatte, der Schriftsteller Bernward Vesper, ein sehr sensibler Intellektueller war. In der Sphäre der Revolte sind Vesper und Baader die Antipoden. Was an Baader faszinierte, war seine gespielte Revolte. Mit seiner Männlichkeit hat er autoritär fasziniert. Er hat dabei immer eine Entschlossenheit gehabt, die im Film gut rauskommt, genauso wie die autoritäre Abhängigkeit der Gruppe von ihm. Ein bisschen mutiger wäre ich bei der sexuellen Abhängigkeit gewesen. Das ist nur angedeutet. Die Meinhof und er hatten eine Beziehung. Über die Konkurrenz um den Mann zwischen Gudrun und Ulrike wird schamhaft hinweggegangen.

Baader oszilliert? Herr Roth, haben Sie ihn deshalb im Film heldenhaft sterben statt wie in der Realität scheitern lassen?

Roth: Dieser Tod ist ja wie ein riesiges Fragezeichen. Ist das wirklich so heldenhaft? Es verliert jeder, auch der oberste Polizist auf der Gegenseite. Niemand hat eigentlich irgend etwas davon. Wir haben immer darauf geachtet, dass jetzt niemand sagen kann, der ist nur gut oder der ist nur schlecht.

Ist diese Interaktion und Komplizenschaft mit dem Chef des Bundeskriminalamtes Herold alias Krone ästhetisch oder politisch gemeint? Alle sind am Ende Opfer und Täter zugleich?

Roth: Genau!

Cohn-Bendit: Das ist im Film eingefangene, absolute Realität. Herold war von der RAF fasziniert. Er hat den Sonnenstaat gegen die RAF entwickelt. Er wollte diese Gesellschaft zum Besseren verändert wissen, aber nicht wie die RAF. Die, fand er, schafft kontraproduktiv und pervers das genaue Gegenteil. Aber er ist selber genauso. Seine Computerisierung verschlimmert den Staat. Die Aufrüstung der Polizei in den letzten 40 Jahren ist ja unglaublich. Herold als Loser zu zeigen, das ist auch mutig. Dass sich Baader und Herold heimlich treffen und diskutieren, das fand ich erst mal merkwürdig. Aber im Film ist alles erlaubt. Diesen permanenten Wunsch, mit der RAF zu reden, den hat der Herold damals ja tatsächlich in einem Interview mit dem Rechtsanwalt Sebastian Cobler in der Zeitschrift Transatlantik ausgesprochen. Die Figur entspricht den Menschen dieser Zeit. Aber ob das ästhetisch war? Manchmal habe ich auch gedacht, dass war mir jetzt ein bisschen zu viel Kommissar aus der Krimiserie: Der gute Polizist versucht, den jungen Revolutionär wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Im Film waren die beiden aufeinander angewiesen. Der eine bekämpft den Staat, der andere rüstet ihn auf.

Roth: Die Figur ist an Herold nur angelehnt.

Cohn-Bendit: Ja! Es ist ein Film! Ich finde, das muss man auch immer wieder wiederholen!

Roth: Herolds Faszination für Computer war da. Er hat, glaube ich, relativ früh gesehen, dass man damit antihierarchische Systeme schaffen kann. Das war ja eigentlich eine wahnsinnig gute Idee, dass er gesagt hat, dass man eigentlichen diese Hierarchien innerhalb der Polizei abschaffen kann. Es wird ja heute noch von der positiven und der negativen Rasterfahndung geredet. Der Computer selektiert. Herold wäre aber nie so weit gegangen wie Schily heute. Er war wirklich vom Marxismus geprägt. Er hat ja am Anfang marxistisch-leninistischen Unterricht gegeben. Das hat er natürlich weit von sich gewiesen und gesagt, er sei ein Dialektiker, weil er an kybernetische Systeme glaubt. Das ist alles auch ein bisschen versponnen. Aber am Ende hat er wirklich nicht mehr deeskalieren können und den Kampf dann angenommen und selber weiter und weiter eskaliert, weil er die Sache zur Entscheidung bringen wollte. Es wird klar, dass weder er noch Baader zurückkonnten.

Cohn-Bendit: Das ist auch eine sehr starke politische Kritik. Man schafft Systeme, und die Systeme laufen von alleine. Die Illegalität ist eins, und der Staatsschutz ist das andere: zwei, die am Ende die Subjekte nicht mehr brauchen.

Roth: Weil sie keine Kontrolle mehr haben.

Cohn-Bendit: Weder die Gruppe noch der Staat. Und damit sind beide spiegelbildlich. Die einzige Kontrolle ist die demokratische Diskussion.

Roth: Das Treffen Herold–Baader ist mehr als eine Vater-Sohn-Geschichte. Da ist plötzlich der Moment, wo klar wird, dass die beiden einander brauchen, um zu eskalieren. Baader sagt es ja am Ende: Sie werden Ihren Krieg bekommen!

Die Schlöndorff-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nach dem Roman von Heinrich Böll hat seinerzeit einen Skandal ausgelöst. Das würde heute nicht einmal mehr ein Film über Baader schaffen.

Cohn-Bendit: Damals waren 90 Prozent der Gesellschaft diesem wahnsinnigen Kampf gegen die RAF erlegen. Nicht, dass die RAF nicht mörderisch war, aber das ganze System hat so getan, als sei es kurz vor dem Zusammenbruch. Da konnte ein Bundeskanzler Helmut Schmidt sagen: Man muss bis zum Rande der Legalität gehen. Da hat Böll, auch im Kampf gegen die Bild-Zeitung, ehrenhaft und stark intellektuell eingegriffen. Heute, wo Schily und Fischer Minister sind, ist die Sicht eine andere. Eigentlich hätte die taz mit dem Ex-RAF-Verteidiger Otto Schily reden sollen. Was mich heute völlig entsetzt, ist, dass jemand wie Schily genauso wie die RAF die Geschichte ausradieren will, dass der heute weiter geht als Herold damals.

Roth: Und keiner sagt was!

Cohn-Bendit: Auch die Grünen sind in der Zwickmühle der Regierung. Aber richtig ist, dass man Schily immer vorwerfen kann, das er nicht sieht, dass der Kampf für eine staatliche Ordnung immer kontrolliert werden muss durch die Idee einer demokratischen Grundsubstanz, check and balance. Das findet heute nicht statt. Es wundert mich, dass das einem Schily nicht auffällt. Er soll seine Rolle als bornierter Innenminister spielen, das liegt an der Funktion. Aber er soll sagen: Ich weiß, dass ich borniert bin.

Aber die RAF ist doch nicht nur verteufelt worden. Sie hatte doch auch Rückhalt in der Bevölkerung, die bis zu Witzen über und Sympathie für die Morde ging.

Cohn-Bendit: Das sind die gleichen Leute, die über Judenwitze lachen und die von Schill und Stoiber, also vom autoritären Charakter, fasziniert sind. Ich bin da beinhart. Dieses Volk akzeptiert, dass man Menschen, die man nicht mag, auch umbringen kann.

Das Ganze ist auch eine Zitatenkette, die an Godards „Die Kinder von Karl Marx und Coca-Cola“ erinnert. Das wirkt sehr sympathisch. War das Absicht?

Cohn-Bendit: Ich habe ja noch bis zu dem Kaufhausbrand-Prozess gesagt, das sind welche von uns.

Roth: Sie haben im Gerichtssaal doch auch „Heil Ordnung“ gerufen, oder?

Cohn-Bendit: Kann sein. Ich weiß nicht mehr jeden Satz von mir. Ich habe auch die Gudrun Ensslin im Gefängnis besucht. Da ist mir klar geworden, dass die Frau im Grunde genommen nichts verstanden hat. Ich habe ihr gesagt: Ihr müsst jetzt aufhören.

Roth: Hatte der SDS sich eigentlich schon von der RAF losgesagt, als Sie noch gerufen haben: Das sind welche von uns!?

Cohn-Bendit: Es war sehr schwierig. Der Druck vom Staat war groß und der von der RAF auch. Die RAF hat uns zwangssolidarisieren wollen, und der Staat hat uns zwangsentsolidarisieren wollen. Und wir wollten uns weder von den einen noch von den anderen unter Druck setzen lassen und das selbst entscheiden. Zwei Stunden nach der Kaufhaus-Brandstiftung konnte jeder im Lokal Club Voltaire die Geschichte von den Teilnehmern selber hören. Das war noch das Ausrasten in einem antiautoritären, aktionistischen, provokativen Rahmen. Die wollten damals wirklich niemanden verletzen. Wenn man bedenkt, dass Baader nur sechs Monate vor der Zeit, zu der er aus dem Gefängnis entlassen worden wäre, befreit wurde! Da haben wir gesagt: Seid ihr verrückt? Der wäre doch sowieso bald frei. Das zweite Mal wurde er festgenommen, weil er mit 80 Stundenkilometern gegen die Einbahnstraße gefahren ist! Das war seine Verrücktheit. Der war völlig abgehoben. Diese Militanz, das Chef-sein-Wollen, das war seine Identität. Der wollte ja, nachdem er die Lehrlinge aus den Erziehungsheimen befreit hat, mit denen die Rote Armee aufbauen. Baader ist immer mit Mao-Tse-tung-Zitaten rumgelaufen und hat uns völlig kirre gemacht. Ich finde die Geschichte im Film sehr schön dargestellt, eben episch erzählt und nicht dokumentarisch eingefangen. Was ich im Film auch sehr gut fand, das war die Sprache. Mein Sohn hat mir gesagt, so können Menschen doch nicht reden. Aber das war ihre Sprache, absolut eins zu eins.

Roth: Was meinen Sie damit?

Cohn-Bendit: Die haben mich gefragt, wie kann man so reden? Das kann doch nicht sein? Das ist doch gemein von dem Autor, das ist ja unerträglich! Nur, so haben sie geschrieben, so haben sie gesprochen.

„Der Film trifft die Linke, wo sie am schwächsten ist“

Herr Cohn-Bendit, Sie sprechen immer von „sie“ und „ihnen“. In alten SDS-Infos haben auch Sie so geschrieben.

Cohn-Bendit: Ich nicht. Ich war anarchistisch-libertär. Aber es stimmt. Die politische Schuld ist geteilt. Wenn man sich die Rede von Rudi Dutschke beim Vietnamkongress 1970 heute anhört, ähnelt sie ideologisch und inhaltlich der Sprache der RAF. Nur, er meinte es ganz anders. Als er sagte: Bring the war home!, sagte er: Macht Demonstrationen auf der Straße, ärgert die Polizei. Daraus hat Baader „Schießt!“ gemacht. Das ist der große Unterschied.

Wie konnte das von einem situationistischen Flugblatt mit dem Aufruf zur Kaufhaus-Brandstiftung so zur Gewalt werden? Ulrike Meinhof hat einmal gesagt, dass die Subversion nicht mehr in der Provokation liegen kann, sondern in der puren Tat, die auf sich selbst verweist.

Roth: Das ist die Propaganda der Tat.

Cohn-Bendit: Das ist das wirkliche Anzünden eines Warenhauses.

Roth: Auch die Baader-Befreiung. Wenn Sie sagen, der hatte doch nur noch sechs Monate abzusitzen, dann ging es doch gar nicht darum. Es ging um die Tat.

Cohn-Bendit: Ja. Man muss eine Situation schaffen, aus der man nicht mehr zurückkann. Das ist auch das Schlimme: rein ohne Rückfahrkarte. Das waren junge Menschen, die emotional eingefangen wurden und dann weg waren für ihr ganzes Leben. Das ist die historische Verantwortung derjenigen, die so geredet und geschrieben haben wie Meinhof, wie Ensslin und wie Baader.

Herr Roth, haben Sie überhaupt Authentizität gesucht? Und wenn ja, welche?

Roth: Ich habe mich schon mit Leuten getroffen und recherchiert. Aber irgendwann habe ich das einfach über den Haufen geworfen, mir ein eigenes Bild gemacht und eine eigene Geschichte erzählt, weil ich die Realität dann nicht mehr so interessant fand.

Cohn-Bendit: Ich finde, dass Horst Mahler sehr schön gezeichnet ist. Der heißt im Film Kurt Wagner. Wenn ich den jungen Leuten sage, dass ist der linke Rechtsanwalt Horst Mahler, dann glauben die das nicht. Die kennen Mahler nur als den NPD-Mann. Die sind völlig fassungslos. Es gibt einen großen Hollywoodfilm, der zeigt, was man mit Geschichte machen kann: „Rats“. Er nimmt die russische Revolution und leistet im Hollywoodformat durch die Figur der Emma Goldmann Revolutionskritik. Der Film bewegt sich frei in der Geschichte. Und das ist auch gut so. Das muss man verteidigen. Es geht um die Menschen Baader und Ensslin. Man muss immer die Affekte überprüfen, die der Film in einem selbst produziert. Das ist das Spannende.

Die Sexualität ist im Film nur angedeutet. Es gibt höchstens mal einen Kuss.

Cohn-Bendit: Oder Ensslin geht ihrem Vater mitten im Winter barbusig entgegen.

Kann man sich Sexualität unter diesen extremen Lebensbedingungen, dem ständigen Druck und Stress überhaupt vorstellen?

Cohn-Bendit: Ich glaube, das das Einzige, was denen übrig blieb, war, ab und zu wenigstens mal zu vögeln. Wenn das nicht war, dann haben sie ja überhaupt nichts gehabt.

Roth: Klar gab es die Beziehung zwischen Meinhof und Baader. Aber ich wollte die RAF nicht als Beziehungsgeschichte abtun. Das gilt auch für den Drogenkonsum, der ja auch belegt ist. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass die Zuschauer sagen, das waren ja alles nur Drogenabhängige.

Cohn-Bendit: Das ist richtig. Aber das zu zeigen ist auch legitim. Sartre konnte ohne Amphetamine nicht schreiben. Warum sollen Terroristen, die ja out of the world sind, keine Drogen nehmen, um ihr Leben überhaupt auszuhalten. Es wäre naiv, das auszuklammern.

Roth: Interessant ist, dass die RAF Speed genommen und die ganze Zeit Kaffee getrunken hat, während die Bewegung 2. Juni eher immer gekifft hat.

Cohn-Bendit: Sehr schön war auch die Szene im Guerillalager in Jordanien, die die Pseudoemanzipation zeigt.

Da liegen die RAF-Frauen nackt in der Wüste und sonnen sich.

Cohn-Bendit: Das zeigt die Konfrontation der Kulturen. Es wird aber auch deutlich, dass man in Jordanien als Terrorist ganz anders gelebt hat als in Deutschland. Da ging man in den großen Palästen ein und aus, während bei der RAF die Reste des protestantischen Calvinismus zu spüren waren. Ohne diesen calvinistischen Background wäre die RAF nicht möglich gewesen. Der konnte sich sehr gut mit dem Marxismus als laizistischer Massenreligion verstehen.

Und wie war das bei der Busenszene mit Ensslin und ihrem Vater? Das war doch schon fast kitschig.

Cohn-Bendit: Ich fand das sehr rührend. Das ist ein Problem der Deutschen. Sobald eine sentimentale Situation gezeigt wird, sagt man erst mal: Kitsch! Damit ist man von der deutschen Romantik befreit.

Auch von der Revolutionsromantik?

Cohn-Bendit: Na ja, die gab es. Filmisches Ideal war im SDS 1968 der Western „Viva Maria“.

Roth: Das war der Lieblingsfilm von Rudi Dutschke.

„An der RAF hat mich das Experiment interessiert“

Cohn-Bendit: Der große linke Theoretiker Krahl hat im Suff Heintje-Lieder gesungen.

Roth: Baaders Lieblingsfilm war „Il silencio“, „Leichen pflastern seinen Weg“ mit Klaus Kinski.

Cohn-Bendit: Mein Lieblingsfilm ist „Außer Atem“.

Roth: Was haben Ihre Söhne für einen Eindruck von dem Film? Können die genau auseinanderhalten, was bis 1972 passiert ist?

Cohn-Bendit: Der Elfjährige nicht. Aber der Ältere ist sehr vom Weltwirtschaftsgipfel in Genua geprägt worden. Durch die Konfrontation mit dem Tod werden die Kinder erwachsen. Der hat die Revolte mit den tutti bianci, mit dieser gewaltlosen Offensive verglichen. Er war durch die unsägliche Sprache in dem Film sehr verstört. Er hat gefragt: Muss der Baader denn sechs Mal Fotze sagen? Aber so war der Umgangston. Warum soll der Film lügen, nur dass dabei ein idealisiertes Bild rauskommt? Was gelungen ist, ist zu eigen, dass Menschen unendlich viele Facetten haben, die Personen sinnlich und emotional sichtbar zu machen. Den Wahrheitsgehalt finde ich uninteressant.

Roth: Hoffentlich wird man nicht die ganze Zeit suchen, wer wer ist. Reale Figuren kommen nicht wirklich vor.

Cohn-Bendit: Bei dem Horst Mahler alias Wagner hätte man den Namen nennen können, damit man jedem sagen kann, das ist der, der jetzt bei der NPD ist. Menschen sind zu einer bestimmten Zeit so und ändern sich. Ob die dann in einer anderen Zeit so bleiben, weitermachen, sterben, woanders landen, das wird das Leben zeigen.

Der Horst Mahler hätte vermutlich geklagt.

Cohn-Bendit: Na und.

Roth: Soll er doch!

Cohn-Bendit: Hat es denn Spaß gemacht, den Film zu machen?

Roth: Ja. Es war ja der erste historische Film für mich. Auch immer wieder Leute zu treffen, Neuland zu betreten. Viele wollten über die Zeit nicht mehr reden. Aber wenn ich gesagt habe, ich mache einen Film über Baader, dann hat das die Türen geöffnet, weil viele den mal sehen wollten, der so einen Film macht. Dass viele gesagt haben: Über Baader kann man keinen Film machen, das hat ihn für mich umso interessanter gemacht.

INTERVIEW: HEIDE PLATEN

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