Entlastendes Beweismaterial?

Die WDR-Doku „Es begann mit einer Lüge“ von 1999 dient dem Exdiktator heute zur Verteidigung

BERLIN taz ■ Die WDR-Autoren Jo Angerer und Mathias Werth haben in der Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ die Argumente für einen deutschen Kriegseinsatz im Kosovo unter die Lupe genommen. Und kamen zu dem Ergebnis, es habe vor Beginn der NATO-Luftangriffe 1999 im Kosovo keine humanitäre Katastrophe gegeben. Zum Auftakt seiner Verteidigungsrede hat Milošević Auszüge aus dem Beitrag gezeigt.

Der Film aus der Redaktion des Magazins „Monitor“ erntete nach seiner Ausstrahlung am 8. März 2001 sowohl herbe Ablehnung als auch begeisterte Zustimmung. Von „Bulldozer-Journalismus“ und „dumpfer Verschwörungstheorie“ sprach die FAZ, der Spiegel bewertete den Beitrag als „schöngeredete Apartheid“, der Stern hingegen sah in der Doku eine „Sternstunde im deutschen Fernsehen“. Über anderthalb Jahre nach Kriegsende war eine heftige Debatte über den Nato-Einsatz im Gang. Kritiker des Nato-Bombardements äußerten Zweifel an der Existenz eines „serbischen Hufeisenplans“ zur Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo – der Plan sowie serbische Massaker im Kosovo wurden von Verteidigungsminister Rudolf Scharping als Grund für eine deutsche Beteiligung angeführt.

Angerer und Werth sprachen mit Kosovo-Albanern, die aussagten, ihre Dörfer seien erst nach den Nato-Luftangriffen zerstört worden. Verteidigungsminister Scharping warfen sie vor, in seiner Darstellung der Situation auf dem Balkan gelogen und übertrieben zu haben, um die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz im Parlament durchzusetzen. „Verkürzende Darstellung, Manipulation, Fälschung“, schimpfte Scharping und forderte via Bild eine Entschuldigung des WDR.

In Serbien war der Film mehr als ein halbes dutzend Mal im Privatsender YU-Info mit eingesprochener serbischer Übersetzung zu sehen.

Der WDR hat mittlerweile die Vorgehensweise Milošević’ kritisiert. Es sei „absurd und dreist“, sagte Chefredakteur Jörg Schönenborn. Schönenborn verurteilte, dass jemand, der „die Menschenrechte mit Füßen getreten hat“, sich nun die Möglichkeiten der freien Berichterstattung in Deutschland und einer damit verbundenen kritischen Auseinandersetzung mit Regierungspolitik zu Nutze machen wolle. Der Film von Angerer und Werth sei jedoch „inhaltlich einwandfrei“. JUTTA HEESS