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Nass auf der Festplatte

Der Traum von einer perfekten Imitation, und wie er sich nie erfüllt: Mit der Konzertreihe „Audible Interfaces“ zeichnet das Ensemble Mosaik die Entwicklungen im Bereich interaktiver Musiksysteme und Computeranwendungen nach

„Wetware“ hieß der Begriff, der zu Beginn der Neunzigerjahre die Fantasie einer perfekten Cyber-Welt benannte: die Fantasie vom verkabelten Menschen, der in einer virtuellen Welt dächte und handelte und dessen Körper stumpf und gefühllos auf bloß physiologische Funktionen reduziert wäre. Aber weder haben sich technische Revolutionen in dem Maße angekündigt, als dass mit einer perfekt computersimulierten Realität wirklich zu rechnen wäre, noch wurden jemals die Vorteile eine derart künstliche Welt klar.

Trotzdem lechzten neben der Bioindustrie gerade die Künste dieser Fantasie hinterher. Der Traum galt der Vorstellung einer perfekten Imitation. Selbst die Musik, die wohl imitationsfernste unter den Künsten, konnte von dieser Idee nicht lassen und installierte in den vergangenen Jahrzehnten eine Unmenge kurioser Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine. Fleischliche Implantate und vernetzte Schädeldecken blieben bislang freilich aus. Aber immerhin gehören Klänge steuernde Cyberhandschuhe, Midi-Instrumente oder dirigierende Computer heute zum Comme-il-faut des Komponierens.

Mit seiner Konzertreihe „Audible Interfaces“ spürt das Ensemble Mosaik den Entwicklungen im Bereich interaktiver Musiksysteme und Computeranwendungen in drei Konzerten von heute bis Donnerstag nach. Es mag zunächst enttäuschen, dass wirkliche technische Neuerungen in den ausgewählten Werken ausbleiben. Zwar müssen sich die vom Blatt, genauer: vom Bildschirm spielenden Oboisten in „The Self Composer“ des Kölner Komponisten Harald Muenz den Launen des Computers beugen. Zwar gelingt es Ana Maria Rodriguez in „El jardin de senderos que se bifurcan“ den Zufall modellhaft zu verzweigen und die zeitliche Linearität der Musik per Computer glaubhaft in räumliche Offenheit zu projizieren. Aber die meisten der vorgestellten Werke begnügen sich mit dem schlichten und undifferenzierten Zusatz „plus Live-Elektronik“. Das mag zum einen daran liegen, dass man Materialschlacht und technizistische Spektakel vermeiden wollte. Das mag auch daran liegen, dass die Veranstalter die Qualität der programmierten Werke nicht an der Raffinesse der verwendeten Technik gemessen haben. Dass bisweilen durchaus simpel live-elektronische Konzepte im Mittelpunkt der Konzertreihe stehen, ist aber vor allem auf das wachsende Interesse an hybriden Klängen und wahrnehmungsgestörten Mischformen zuungunsten vollsynthetischer Klangwelten zurückzuführen. Denn dass auch ein schlankes live-elektronisches Konzept zu baffen Ergebnissen führen kann, beweist zum Beispiel Marco Stroppa mit seinem Stück „Spirali“ für Streichquartett und Liveelektronik. Leichtfertig könnte man behaupten, es passiere in diesem Werk nichts anderes, als dass das Streichquartett per Lautsprecher in den Saal projiziert wird. Wer aber gehört hat, wie der Komponist mit zähen Streicherklängen ein dichtes Netz im Raum webt, wie der Hörer auf zwanzig Minuten in den Klauen des Klangs gefangen liegt, der weiß, dass hier nicht bloße elektronische Verstärkung am Werke ist. Und wer erfährt, dass das Keyboard in Enno Poppes „Holz“ allein zur Vorgabe ungewöhnlicher und ungewöhnlich präziser Stimmungen dient, wird kaum glauben, dass der Komponist damit auch nur einen Blumentopf gewinnen kann.

Dennoch verspricht gerade das Werk von Poppe, Leiter des Ensemble Mosaik und seit Jahren einer der vielversprechendsten jungen Tonsetzer, elektronische Konzepte, wie das variabler Stimmungen, glaubhaft auf die Instrumentalmusik zu übertragen. BJÖRN GOTTSTEIN

„Audible Interfaces“, Di.–Do., jeweils 20 Uhr, Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg

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