: „Der wollte nicht fotografiert werden“
Wegen einer Presseerklärung stand ein Mitarbeiter des Vereins „Opferperspektive“ vor Gericht. Er soll Polizisten verleumdet haben, die zwischen Rathenower Jugendlichen und einem britischen Fotografen schlichten sollten
Zwanzig rechtsextrem motivierte Angriffe auf Flüchtlinge und linke Jugendliche zählte der Verein Opferperspektive in den Jahren 2001 und 2000 im brandenburgischen Rathenow. Angriff Nummer zehn im August 2000 wäre da kaum noch aufgefallen. Doch die Betreuung des Opfers, des britischen Fotoreporter Justin Jin, durch Mitarbeiter der Opferperspektive hatte nun ein juristisches Nachspiel.
Wegen „Verleumdung“ von zwei Rathenower Polizistinnen ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam sechzehn Monate lang gegen einen Mitarbeiter des Vereins. Stein des Anstoßes: eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Britischer Journalist in Rathenow von Skinhead angegriffen und von Polizei misshandelt“. Insbesondere der Satz, Justin Jin habe in Brandenburg zwar „rassistische Skinheads erwartet, aber nicht eine Polizei, die sich mit Rechtsextremen verbrüdert“, hatte die Ermittlungen ausgelöst.
Vor dem Amtsgericht Potsdam schilderte der 27-jährige Brite aus Hongkong gestern noch einmal die Details des Angriffs. Am Abend des 25. August 2000 verließen Jin und drei afrikanische Asylbewerber zunächst aus Angst fluchtartig eine Diskothek. Auf dem Heimweg zum Flüchtlingswohnheim scheiterte auch der zweite Versuch, als Nichtweiße in Rathenow nach Einbruch der Dunkelheit etwas trinken zu gehen. Die Gruppe wurde rüde aus einer Spielothek mit Getränkeausschank hinauskomplimentiert. „Dann kam plötzlich ein Deutscher auf uns zu, brüllte uns an und hielt einen Stein in der Hand“, erinnerte sich Justin Jin im Zeugenstand. Nachdem Jin auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt hatte, um die Szene für seine Reportage festzuhalten, wurde er von dem knapp zwei Meter großen 21-Jährigen ins Gesicht geschlagen. Schließlich gelang es einem der Be4gleiter Jins, die Polizei zu alarmieren.
„Wir wussten nur von einem Problem zwischen Deutschen und Ausländern“, beschrieb eine Polizistin vor Gericht den Beginn ihres Einsatzes. Am Ort des Geschehens sei sie von mehreren Deutschen mit der Frage „Sollen wir euch helfen?“ begrüßt worden. Eine Verständigung mit den afrikanischen Männern und Jin sei nicht möglich gewesen. Da letzterer in der Situation durch weiteres Fotografieren „provoziert“ habe, entschied sich die 26-jährige Beamtin gemeinsam mit ihrer Kollegin, den Reporter zur „Gefahrenabwehr“ mit einem Einsatzwagen auf die Polizeiwache zu verfrachten. „Zu seinem eigenen Schutz.“
Ob im Polizeigriff mit auf dem Rücken gedrehten Armen, wie Jin sich erinnert, oder, wie die Beamtin beteuerte, durch sanftes Handauflegen – konnte das Gericht gestern nicht klären. Auch bei der Frage, ob die Polizistinnen das Handy und die Kamera des Fotografen gewaltsam einzogen oder nicht, gab es widersprüchliche Aussagen. Er habe das Vorgehen der Beamtinnen als „Festnahme“ empfunden, sagt Jin. Die Schikanen endeten erst, als klar wurde, dass er sich als Journalist in Rathenow aufhielt.
Kritik an ihrem Vorgehen kann die Polizistin nicht verstehen. „Der deutsche Bürger wollte nicht fotografiert werden, und wir haben dem Wunsch Nachdruck verliehen“, rechtfertigte sie sich im Zeugenstand. „Die Gefahr ist von dem Herrn Jin ausgegangen.“ Eine Antwort, die bei dem britischen Journalisten Fassungslosigkeit hervorruft. „Der Deutsche hatte einen Stein in der Hand, als die Beamtin mich abführte, und ich hatte eine Kamera.“
Angesichts der widersprüchlichen Aussagen fanden Staatsanwaltschaft und Gericht, dass der angeklagte Opferperspektiven-Projektleiter Kay Wendel sich „nachvollziehbar“ die Sicht des Opfers zu Eigen gemacht und in der Presseerklärung verbreitet hatte. Sie stellten das Verfahren gestern ein. HEIKE KLEFFNER
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