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Peking misstraut den USA

Präsident Bush besucht China. Ihm geht es um die Zukunft der Anti-Terror-Koalition. Die Gastgeber sind von seiner Politik und der zunehmenden Präsenz von US-Truppen in Zentralasien nicht angetan

aus Peking JUTTA LIETSCH

Der US-Diplomat kam aus dem Staunen nicht heraus: „Es gibt keinen Luxus, keine Arbeitslosigkeit, keine äußeren Zeichen der Unzufriedenheit, kein Betteln, kein Trinkgeld, keinen Betrug, wenig Gewalt, keinen Diebstahl, keine merkbare Korruption und ein überwältigendes und allgegenwärtiges Gefühl nationalen Stolzes“, berichtete David Bruce, erster Vertreter Washingtons in der Volksrepublik China, kurz nach seiner Ankunft in Peking.

Einige Monate zuvor, am 21. Februar 1972, war es zum historischen Wendepunkt in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen gekommen: US-Präsident Richard Nixon reiste in das abgeschottete kommunistische China Mao Zedongs, die Kontakte zwischen Washington und Peking begannen sich zu normalisieren.

Inzwischen existiert im Reich der Mitte Arbeitslosigkeit, verschweigen die chinesischen Zeitungen nicht mehr Unzufriedenheit, Bettler, Betrug und Korruption. Doch auch heute ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern heikel und von Misstrauen gekennzeichnet. Mit Spannung erwartet die Pekinger Regierung jetzt den Besuch von Präsident George W. Bush, der am Donnerstag – genau dreißig Jahre nach Nixon – in der chinesischen Hauptstadt landen wird.

Bush, der China als letzte Etappe seiner Asientour besucht, wird unter anderem Präsident Jiang Zemin und Premierminister Zhu Rongji treffen, ein amerikanisches Unternehmen besuchen und eine Rede vor Studenten der Qinghua-Universität halten. Dabei werde er sich besonders für Meinungs- und Religionsfreiheit einsetzen, kündigten seine Mitarbeiter an. Mindestens sechs Studenten der Qinghua-Universität sind derzeit in Haft, weil sie der Falun-Gong-Sekte angehören.

Ganz oben auf der Tagesordnung Bushs steht die Zukunft der Anti-Terror-Koalition, für die sich der Präsident auch künftig die Unterstützung der Chinesen sichern will. Doch obwohl sich Peking gleich nach den Anschlägen vom 11. September der Allianz anschloss, schwelen unter der Oberfläche große Differenzen. Die Chinesen fürchten, dass die Amerikaner den Kampf gegen den Terror nutzen wollen, um ihre „militärische Präsenz in Zentralasien auszudehnen“, warnte kürzlich die Volkszeitung, das Sprachrohr der Kommunistischen Partei.

Die alte Angst der Pekinger Regierung vor einer Einkreisung hat in den letzten Monaten neue Nahrung erhalten: In Japan und Südkorea allein sind über 80.000 amerikanische Soldaten stationiert, mit vielen südostasiatischen Streitkräften bestehen Kooperationsabkommen.

Jetzt stehen die Amerikaner auch im Westen: In Afghanistan haben die USA dreizehn Stützpunkte. US-Truppen dürfen Militärflughäfen in Usbekistan nutzen. In Kirgisistan bauen die USA eine neue Basis, sie werben um Pekings alten Verbündeten Pakistan und belauschen die Volksbefreiungsarmee von Horchposten in Indien aus. Dahinter steckt nicht zuletzt der Kampf um wirtschaftliche Interessen: Denn Zentralasien hat große Gas- und Ölvorkommen, auf die sowohl die Amerikaner als auch die Chinesen spekulieren.

Zudem hält Bush an seinem Ziel eines neuen Raketenabwehr-Programms fest, das nicht nur Japan und Korea, sondern wohl auch Taiwan schützen soll. Peking schwant, dass Taipeh diese Situation nutzen könnte, um seine Unabhängigkeitsbewegung zu stärken. Außerdem drängen die USA seit langem darauf, dass China aufhört, Raketentechnologie und andere militärische Güter an „Schurkenstaaten“ wie Iran, Irak oder Nordkorea zu liefern. Bisher hat Peking diese Geschäfte nie offiziell zugegeben. Bush hat Anfang der Woche seine Warnungen gegen diese „Achse des Bösen“ bekräftigt, obwohl China und andere Staaten in Asien dies scharf kritisiert hatten.

Der 11. September hat für beide Länder eine neue Situation geschaffen: Nie zuvor war die Präsenz der USA in Asien so stark wie heute. Auf der anderen Seite hat Bush, unter dem sich das Verhältnis zu China zuvor deutlich abgekühlt hatte, inzwischen mildere Töne für Peking. China werde „nicht nur ein Handelspartner sein“, sagte Bush Anfang der Woche in Tokio, sondern es werde „den Respekt erhalten, den es als große Nation verdient“.

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