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Die Mitte bin ich

Gerhard Schröder will die Mitte für sich – und die SPD. Nachhaltigkeit und politische Kultur sind seine Schlüsselbegriffe

aus Berlin JENS KÖNIG

„Die Muskatnuss ist nichts Statisches“, sagt Gerhard Schröder. „Sie nimmt ihre Kraft nicht aus Statussymbolen oder den Wahrheiten von gestern. Die Muskatnuss ist der entscheidende Motor der gesellschaftlichen Modernisierung. Wenn man sich so anschaut, was heute die Muskatnuss ausmacht, dann stellen wir fest, dass da ein beachtlicher Wandel stattgefunden hat.“

Ja, ja, mit der Mitte ist das so eine Sache. Sie ist nicht nur ein flüchtiger Ort, sondern auch ein ziemlich leeres Wort. Man kann alles hineinkippen, ohne dass es groß den Sinn verändert. Man hat das Gefühl, Gerhard Schröder könnte auch locker mit der Idee von der Muskatnuss die Wahl gewinnen. Die klingt gar nicht so schlecht, wie man oben sehen kann.

Aber nein, es muss die Mitte sein, der mythische Ort der deutschen Politik. Also spricht Gerhard Schröder von der Mitte. „Die Mitte ist doch blau, Franz“, sagt Schröder lachend zu seinem Generalsekretär Franz Müntefering, als er auf die Bühne steigt. Schröder sieht vor sich das große, ganz in blau gehaltene Plakat seiner Partei, das dem SPD-Kongress an diesem Tag seinen Titel gibt: „Die Mitte in Deutschland“. In diesem Moment fällt ihm ein, dass er fünf Minuten vorher noch vor einem ganz anderen SPD-Plakat posiert hat. „In Deutschland ist die Mitte rot“ stand darauf. Dieser kleine Unernst des Kanzlers verdeutlicht, dass es beim Thema Mitte immer auch etwas zu lachen gibt, sogar für den deutschen Freundeskreis der drei Grundfarben.

Dazu passt vorzüglich, dass dieser Kongress der Arbeiterpartei im noblen DaimlerChrysler-Gebäude in Berlin stattfindet. Überhaupt das Haus – seine Architektur ist so luftig, dass es wie geschaffen scheint für eine Diskussion über die politische Mitte.

Dabei reden die Parteien ja bekanntlich gar nicht so gern über die Mitte. Sie besetzen sie lieber. So wie die SPD vor vier Jahren sich einfach in die „neue Mitte“ platziert hat. Jetzt regieren die Sozialdemokraten, und sie wollen es noch vier weitere Jahre tun. Also gilt es sieben Monate vor der Wahl, sich wieder in die Mitte zu setzen, die jetzt aber nur noch die „Mitte“ ist, weil sie ja nicht mehr neu ist.

Wenn man die Mitte nicht ohnehin für einen ominösen Ort hält, dann reklamiert Gerhard Schröder am Mittwoch eben diese Mitte für seine Partei ganz klug und originell. Er liefert dafür drei zentrale Begründungen: Die Mitte bin ich, weil ich jetzt die Mitte bin, aber nicht aus der Mitte komme. Die SPD ist die Mitte, weil sie eine Politik für die künftigen Generationen macht. Und: Die Union ist nicht die Mitte, weil sie kulturell nicht für Offenheit steht. Und geht es bei der Wahl im Herbst nicht zufällig genau darum? Nicht nur um harte Themen, sondern auch um „kulturelle Perspektiven im ganz umfassenden Sinne“, wie der SPD-Vorsitzende es ausdrückt? „Auf diese Auseinandersetzung freuen wir uns“, sagt Schröder, „und ich ganz besonders, das werden Sie verstehen.“ Ganz liebe Grüße nach Bayern!

Schröder begründet die Mitte am Anfang seiner Rede persönlich. „Ich bin keiner von denen, die in die Mitte hinein geboren wurden“, erzählt er. „Für Menschen wie mich, die nach dem Krieg in kleinen, manchmal auch ärmlichen Verhältnissen aufwuchsen, galt es als ausgemacht, dass man da zu bleiben hatte: am unteren Ende, vielleicht sogar am Rande der Gesellschaft.“ Was dann in Schröders Leben folgte, ist eine typische sozialdemokratische Aufsteigergeschichte, die der Kanzler an diesem Tag nicht erzählt, aber mit deren Erwähnung er sagen will: Wenn einer wie ich heute Kanzler werden kann, dann hat sich in diesem Land ganz schön was verändert – auch die Mitte, und die ist „immer auch das Lebensgefühl einer Gesellschaft“, wie Schröder sagt.

Dieser persönlichen folgt die politische und dann die kulturelle Definition von Mitte. Schröder bezeichnet „Nachhaltigkeit“ und „politische Kultur“ als die sozialdemokratischen Schlüsselbegriffe dafür. Bei Nachhaltigkeit geht es ihm um mehr als nur um Ökologie, er versteht darunter die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, konkret also Steuer- und Rentenreform. „Wir haben begonnen, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen“, sagt Schröder. „Dadurch machen wir die Politik wieder handlungsfähig.“

Politische Kultur übersetzt Schröder mit Offenheit. „Offenheit nach außen, Offenheit für Innovationen, für neue Ideen, neue Entwürfe und andere Kulturen.“ Für diese Offenheit steht, so Schröder – Überraschung, Überraschung – die SPD, ganz im Gegensatz zur Union. Beispiele gefällig? Staatsbürgerschaftsrecht, Homoehe, Bildung als neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts, moderne Familienpolitik, Zuwanderung. An einem aktuellen Beispiel macht Schröder die Dimension dessen deutlich, um die es ihm geht: „Wir brauchen ein modernes Zuwanderungsgesetz.“ Es gehe um die Steuerung der Zuwanderung und um den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften, damit die deutsche Wirtschaft international nicht den Anschluss verliere. „Darum geht es“, sagt Schröder fast böse, „und nicht um Taktik oder um Herrn Schönbohm.“

Soviel wie Schröder kann man mit der Mitte machen. Und noch viel mehr. Auf dem blauen Mitte-Plakat der SPD fällt ein Stein ins Wasser, rundherum zieht das Wasser gleichmäßig Kreise. Die Einschlagstelle soll die Mitte symbolisieren. Es sieht aus wie ein schwarzes Loch. In dem kann bekanntlich alles verschwinden.

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