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Eine schrecklich normale Familie

Joey mag solche Fragen nicht. Er droht: „Ich, wir brechen das Interview ab“

aus Köln JAN FEDDERSEN

Die Verabredung kam mühselig zu Stande, die Familie ist aus Erfahrung misstrauisch. Ob es früher die Zeit war („Unsere kleine Kelly-Sekte“), die Zeitgeistillustrierte Tempo („Ein Wunder an Seichtheit“) oder die taz („Singende Altkleidersammlung“) – Medien, die auf Distanz hielten und halten zum prägendsten Pop-Act der 90er Jahre werden von den Mitgliedern der Familie Kelly nicht gemocht. Wenn jemand am Image lebenszugewandter Freundlichkeit kratzen könnte, sind sie vorsichtig. „Wir lesen alles“, wird später Joey Kelly sagen, „und dann überlege ich, ob ich mit dem weiter etwas zu tun haben will.“

Wir treffen uns im Hyatt, einem Hotel gegenüber dem Kölner Hauptbahnhof. Der junge Mann von der Promotionagentur sucht eine Nische im fünften Stock, da lässt sich leichter sprechen. Der Anlass ist klar, sie nehmen am deutschen Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision teil und sind die Favoriten, gemessen an den Fans, die sie einst zu mobilisieren verstanden. Das ist noch eine zu kühle Formulierung. Denn die Fans wurden mit ihnen groß und sind ihnen während vieler Kinder- und Jugendjahre treu geblieben.

Drei der vier Männer, die im Sextett in Kiel auftreten werden, sind gekommen, Joey, 28 Jahre, der Marathonläufer; Jimmy, inzwischen 30 Jahre, der die Drehbücher für ihre Clips schreibt; schließlich Angelo, mit 20 Jahren das Nesthäkchen der Familie.

Sie sind freundlich. Und buhlen nicht um Sympathie, die Promotion hat ihre Grenzen, das strahlen sie aus. Begrüßung per Handschlag, jeder von ihnen heißt anders willkommen. Jimmy mit einem Ausdruck von Interessiertheit, Angelo zugewandt und offen, Joey eher smart wie bei einem Geschäftstermin. Ihre Schwestern fehlen, Maite hat andere Termine, und Patricia wollte ihren knapp vier Monate alten Sohn Alexander nicht allein lassen, er hat sich erkältet.

Alle drei sind als Geschwister erkennbar und unterscheiden sich doch erheblich. Schon in der Wahl ihrer Äußerlichkeit. Joey im Anzug. Angelo, das Haar mittelgescheitelt lang und mit schwarzer Hornbrille auf der Nase, eher neutral. Jimmy mit einer Mütze, die ihn als Angler auszuweisen scheint, dazu ein Sweatshirt wie von einem Kind der Woodstockgeneration.

Warum nehmen sie jetzt noch am Grand Prix teil? Sie haben doch längst größere Erfolge erzielt. Joey sagt: „Warum geht man zu ,Wetten, dass …?‘ Wir haben alles gemacht, in Fußgängerzonen gestanden, waren bei Margot und Maria Hellwig, bei Rock am Ring, haben im Gefängnis gespielt und auf der Loreley für Premiere. Den Grand Prix hatten wir noch nicht.“ Angelo ergänzt: „Es ist eine Herausforderung.“ Es klingt pflichtschuldig. Und Jimmy schließt ab: „Wir haben darüber diskutiert. Es macht uns nichts aus, dass es heißt, da werden Schlager gesungen. Wir finden unseren Song gut. Maite hat ihn geschrieben. Und wir werden sehen, ob Deutschland möchte, dass wir dieses Land in Tallinn vertreten.“

Das hört sich so normal an, wie wenn eine Familie bergründet, warum sie ein neues Urlaubsziel gewählt hat. Schrecklich normal für eine Familie, die auch wegen ihres schrägen Erscheinungsbildes berühmt wurde. Aber es gibt eigentlich keinen Grund, ihnen diese Sätze übel zu nehmen. Sie wirken eher angenehm unglamourös.

Und kommt der Grand Prix ihnen nicht gerade recht, schließlich liegen ihre allerbesten Jahre schon etwas zurück? Joey versteift bei dieser Frage etwas seinen Körper und sagt: „Wir haben überall Erfolg gehabt. Und haben ihn immer noch.“ Jimmy grübelt und meint: „Wir haben nicht das Gefühl, dass unsere Musik nicht mehr gefragt ist.“

Nun eben der Grand Prix, eine Herausforderung, die Konkurrenz deutet nicht auf einen automatischen Kelly-Triumph hin. Maite, 21 Jahre, hat das Lied geschrieben, „I Want To Be Loved“, ein melodisches Epos, mit dem sie, so ist ihrer Netzseite zu entnehmen, vom Kampf gegen ihre Essstörung berichtet.

Ein typisches Kelly-Lied. Intensiv, ungehemmt sentimental und traurig – und hoffnungsvoll zugleich. Ein tröstendes Lied, frei von Nebensinn, nichts von Ironie oder Großmäuligkeit. Mit solchen Songs, mehrstimmig in Fußgängerzonen vorgetragen, ob in Plön, Barcelona, Eichstätt oder Marseille, sind sie populär geworden, ehe die Musikindustrie auf sie stieß. Oder besser gesagt: ehe die Kellys ihre Geschicke selbst in die Hand nahmen und jahrelang die von ihnen eingesungenen Tonträger über ein eigenes Label vertrieben.

Die Dinge haben sich geändert. Sie wohnen nicht mehr wohngemeinschaftsartig in einem Schloss oder auf einem Hausboot, sie ziehen nicht mehr übers Land, sie sind sesshaft geworden, und das war schon für viele Fahrensleute der Beginn ihres seelischen Niedergangs. Das, was sie einst auszeichnete, was ihnen überhaupt eine in die Millionen gehende Schar von Fans zuwachsen ließ, ist nun anders. Das Hausboot – aufgelöst; das Schloss – wurde kürzlich verpachtet. Ihre Lebensumstände sind also furchtbar normal geworden. Mit Sicherheit lässt sich aber nicht sagen, ob sie nicht schon immer normal waren. Denn wer weiß schon wie es im Hausboot aussah?

Jetzt wohnt die Familie nicht mehr zusammen, Joey verfolgt sportliche Ziele, Angelo früh geheiratet, Jimmy geht seinen Hobbies in Irland nach, Barbara Kelly, die Tochter, hat sich zurückgezogen und malt; Maite hat sich ebenso abgenabelt und verfolgt eigene Interessen auf der Bühne und bei Talkshows. Sie sind sehr verschieden, und doch wie auf geheimen Befehl beisammen, wenn sie dafür verhöhnt werden, dass sie jahrelang umherzogen, wobei in diesem Spott ja auch immer die Verachtung (und der Neid) der Festsitzenden auf die, sagen wir: Zigeuner verborgen war.

Die Familie hält zusammen, auch an diesem Nachmittag in Köln. Beispielsweise als die Frage gestellt werden soll, ob denn all die Häme bei ihnen zu einer dicken Haut geführt habe oder ob die Lästereien nicht immer noch kränken – wenn sie lesen mussten vom Hausboot, das eines Kammerjägers bedürfe. Aber diese Frage kann nicht gestellt werden, denn Joey lässt sie nicht an sich heran, er will nicht dazu kommen, über seine eigene dicke Haut zu sprechen, denn er hört nur „Müll“ und „Hausboot“, erkennt nicht das Interesse des Fragers an sich und seinen Geschwistern.

Sie buhlen nicht um Sympathie, die Promotion hatihre Grenzen

Er sagt: „Ich will solche Fragen nicht hören, ich, wir brechen das Interview ab, wenn wir darüber sprechen müssen. Nein, nichts über gestern, nur noch über unsere Projekte.“ Aber hat eine Musikgruppe nicht immer eine Geschichte des Gestern, ohne die ein Heute undenkbar wäre? Joey bleibt verspannt und sagt: „Immer diese Geschichten. Alle gelogen, alle ausgedacht.“ Angelo guckt nur, aber Jimmy sagt: „Für Musiker, die voller Emotionen sind, ist es gefährlich, sich eine dicke Haut zuzulegen. Das wird sofort hörbar, wenn man sich nicht mehr öffnet. Ich, man muss den Preis zahlen und die Seele freihalten. Dann bleibt man verletzlich.“

Angelo ist weiter sprachlos, Jimmy schweigt, und Joey sieht aus, als würde er gleich aufstehen. Jetzt bitte zu den „Projekten“ – und Joey entspannt sich auf der Stelle.

Der Versuch, das Private vom Publikum fernzuhalten, bedeutet für die Familie einen Konflikt. Denn ihre Fans wollen sie ja als Personen. Deshalb geben sie immer ein wenig preis und merken erst später, dass es wieder zu viel war. Neulich erst haben sie einem Reporter des Kölner Express ein wenig erzählt über den Schlaganfall des Vaters und schon stand großformatig „Angst um Vater Kelly“ in der Zeitung. Jetzt, erzählt Jimmy, wolle die Presse auch noch wissen, in welchem Krankenhaus der Vater liege. „Wir haben Angst, dass sie es herausfinden und es ihm dann noch schlechter geht.“

Alle weitere Notizen auf dem Interview-Spickzettel bleiben unabgehakt. Gehässigkeiten für alle Fälle. Ob sie gut riechen. Ob sie schmuddelig aussehen, besser: ob sie diesen Stil mögen. Ob sie nicht mal bessere Musik machen wollen. Ist es nicht eigentlich egal? Ist es nicht eher Missgunst, den Kellys übel zu nehmen, dass sie nicht wie Modetussis oder Boygrouptänzer aussehen? Ist es nicht Herzlosigkeit, die heimlichen Wünsche der Kelly-Fans abzutun, nur weil sie etwas anhimmeln, was ihnen selbst oft fehlt, nämlich eine Familie mit Zwist und Hader, Liebe und Nähe?

Joey verabschiedet sich, als hätte das Gespräch ihn erschöpft. Angelo geht zu seiner eigenen Kleinfamilie zurück. Jimmy bleibt so ruhig und entspannt wie offenkundig immer. Nichts Rüdes ist an ihnen, nichts Falsches. Ihr Engagement, sich Feinde und Neider vom Hals zu halten, ist echt, „Besserwisser“, wie Jimmy sagt.

Später, beim Abhören des Tonbands, fällt noch ein überhörter Satz von Jimmy auf: „In jeder Familie gibt es Liebe, und es gibt Hass. Viele Menschen kennen nur das Zweite, und die Liebe nicht.“ Nötigenfalls, sagt er, würden sie wieder in Fußgängerzonen singen, „da haben wir uns immer sehr wohl gefühlt“.

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