: Handel läuft nicht wie geschmiert
Der Bezirk Lichtenberg hat eine Halle organisiert, damit asiatische Gewerbetreibende ohne dubiose Zwischenmieter handeln können. Doch die Vietnamesen scheuen den Umzug. Sie misstrauen offenbar einer Kultur ohne Mafia und Schmiergelder
von MARINA MAI
Eine gelunge Wirtschaftspolitik bedarf immer auch kulturellen Einfühlungsvermögens. Das muss derzeit das Bezirksamt Lichtenberg erkennen. Seit Januar fördert der Bezirk gemeinsam mit dem Senat die Ansiedlung asiatischen Gewerbes in der Vulkanstraße und will den meist vietnamesischen Gewerbetreibenden, die oft des Deutschen nicht mächtig sind und kaum Gesetze kennen, auch Fortbildungsangebote machen. Die Firma MVS will direkt, ohne Zwischenerwerber, an asiatische Gewerbetreibende vermieten. Doch der scheinbar optimale Standort wird von den Händlern nicht angenommen.
Vom deutschen Standpunkt scheint das unverständlich. Denn mehr als 100 Firmen, die sich in einem Asia-Markt an der Landsberger Allee 360 niedergelassen haben, droht bereits zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren die Räumung. Stets hatte die deutsch-vietnamesische Firma Buchholz eine Halle an- und dann an Vietnamesen untervermietet. Doch weil Buchholz die kassierte Miete nie an den jeweiligen Halleneigner weiterleitete, war die Ansiedlung nie von Dauer. So nun auch an der Landsberger Allee. „Wir haben dem Mieter am 23. Januar fristlos gekündigt, weil er die Miete nicht gezahlt hat“, sagt eine Sprecherin der Hamburger Immobilienfirma EVG, der die riesige Halle in Lichtenberg gehört. „Wir erwarten, dass er in den nächsten Tagen räumt und prüfen Zwangsmaßnahmen.“ Auch das Bezirksamt will eingreifen. Denn in der Halle wurde, unter der Bedingung, dass Sicherheitsauflagen erfüllt werden, lediglich Lagerhaltung bis Ende Juni gestattet, nicht aber der Verkauf von Waren.
Doch trotz der absehbaren Schließung an der Landsberger Allee haben sich in der „politisch korrekten“ Alternative an der Vulkanstraße derzeit nur sechs pakistanische Firmen angesiedelt; zwei chinesische, eine vietnamesische und eine koreanische kommen demnächst hinzu. Rund hundert Firmen müssten es sein, damit der Standort Kunden anziehen könnte. Besonders wichtig wären vietnamesische Mieter, weil der Löwenanteil der Kunden aus Vietnam kommt.
„Meine Landsleute fühlen sich unter dem Schutz der Firma Buchholz sicher“, erklärt Pham Dang Hiu, vietnamesischer Redakteur bei Radio Multikulti. „Viele gehen irrtümlich davon aus, die Firma Buchholz würde die Lichtenberger Behörden schmieren, um so lange geduldet zu werden, bis sie eine eigene Halle bauen.“ Dahinter stecken Erfahrungen aus Vietnam: Behördengenehmigungen bekommt dort nicht, wer sich an Gesetze hält, sondern wer den Not leidenden Staatsdienern regelmäßig Geld zusteckt. „Weil meine Landsleute annehmen, so funktioniere es auch in Deutschland“, meint Hui, „akzeptieren sie die finanziellen Forderungen der Firma Buchholz, wie etwa ‚Baugeld‘. Denn sie gehen davon aus, die Firma hätte Unkosten für das behördliche Wohlwollen.“
Der Pakistani Tabraiz Butt, ehemaliger Mietersprecher in der zweiten Halle der Firma Buchholz, hat eine andere Erklärung: „Manche Vietnamesen haben keine Gewerbegenehmigung. Wenn der Vermieter Deutscher ist, kontrolliert er das.“ Bei der Firma Buchholz wären Firmen rechtzeitig informiert worden, wenn sich etwa das Gesundheitsamt zu Kontrollen angesagt hatte. „Da schlüpften die illegal Beschäftigten rechtzeitig in die Rolle von Kunden. Auch das ohne amtliche Genehmigung geschlachtete Fleisch verschwand auf wundersame Weise“, erinnert sich Butt.
Eine Vietnamesin, die nicht genannt werden will, meint hingegen: „Meine Landsleute haben Angst, zu einer deutschen Firma zu ziehen. Sie denken, dort stehen sie nicht unter dem Schutz einer Mafiabande. Und dann würde es brennen wie in Leipzig.“ Dort kam es 1999 zu drei Bränden in asiatischen Gewerbehallen. Die Leipziger Staatsanwaltschaft geht von Brandstiftung aus den Kreisen wirtschaftlicher Konkurrenten aus.
Tamara Hentschel vom deutsch-vietnamesischen Verein „Reistrommel“ fordert Bezirksamt und Polizei auf, im vietnamesischen Gewerbeleben das deutsche Recht durchzusetzen. „Das nutzt den Vietnamesen, die sich nicht auf kriminelle Praktiken einlassen, ebenso wie der Berliner Wirtschaftskraft.“ Hentschel sieht aber auch die öffentliche Sicherheit gefährdet: „Die Rivalitäten in und um Gewerbehallen werden derzeit scharf ausgetragen.“ In Leipzig gab es in diesem Monat wenige hundert Meter von einer Gewerbehalle entfernt eine Schießerei.
Manfred Schweizer, beim Landeskriminalamt Berlin zuständig für Fälle organisierter Kriminalität unter Vietnamesen, sieht das staatliche Gewaltmonopol nicht in Gefahr. Vor Monaten wurde ihm Schutzgelderpressung in einer Asia-Halle bekannt. „Wenn uns Anzeigen vorliegen, ermitteln wir“, betont Schweizer, schränkt aber ein, das Anzeigenverhalten in diesem Bereich sei geringer, als er es sich wünsche.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen