Scheitern auf Polnisch

Im Club der polnischen Versager treffen sich Exilanten und Migranten und machen sich lustig. Ihre Theorie vom Scheitern ist auch ein Einblick in die kulturelle Geografie der Tollpatsche und Pechvögel

von TINA VEIHELMANN

„Das Tauchen nach Gegenständen auf dem Grund ist eine wichtige Aufgabe“, sagt der polnische Dichter Lopez Mauser. „Tauchen für die Gesellschaft“, nennt er das. Wer ein guter Taucher werden will, darf weder trübes Wasser scheuen noch den gesunkenen Schrott verschmähen.

Lopez Mausere ist Mitglied des „Bundes der polnischen Versager“, einer Gruppe polnischer Emigranten, die in Berlin – einer Stadt, die noch immer Erfolgsgeschichten schreiben will – im weitesten Sinne Kulturarbeit leistet. Ihr Sujet ist das Scheitern, eine kulturelle Expedition in das weite Feld des Versagens. Abgesehen von pathologischer Landnahme ein weitgehend unbeachtetes Terrain.

„Demiurg verehrte die ausgesuchte, vollkommene Materie, wir bevorzugen den Schund“, heißt es in ihrem „kleinen Manifest“. Um das eigene Motto gleich zu Beginn zu unterlaufen, haben die Versager bereits einige Erfolge vorzuweisen. Sie haben die deutsche Bürokratie überwunden und es zu einer offiziellen Eintragung ins Vereinsregister gebracht. Sie geben eine Zeitschrift heraus und betreiben ein Vereinslokal in der Torstraße, den „Club der polnischen Versager“.

Gegen Spende werden hier Getränke an Mitglieder ausgeschenkt, und ein- bis zweimal pro Woche kommt der Besucher in den Genuss eines einigermaßen disparaten Kulturprogramms. Da kann es vorkommen, dass Lopez Mausere seine vitalen, grotesken Erzählungen vorträgt, die er gerade vom Polnischen ins Deutsche übersetzt. Ebenso kann es passieren, dass das Publikum Zeuge einer zweifelhaften Performance wird, bei der die Künstlerin ihren eigentlichen Auftritt erst nach der Show hinlegt – von einer Ecke in die andere rauscht, flucht und Verwünschungen ausstößt, weil die Gastgeber um Ruhe bitten und ihr keinen Alkohol geben wollen. An den übrigen Abenden ist das Clublokal ein Treffpunkt für Polen und assoziierte Deutsche. Wer dazukommt, ist Gast in einem halb öffentlichen Wohnzimmer und bleibt meist nur, wenn er Anschluss findet.

Dass bei der Selbstbezichtigung des Versagertums eine Portion Koketterie mitschwingt, geben die Clubbetreiber unumwunden zu. Bei aller Inszenierung jedoch geht es den polnischen Versagern eigentlich um mehr. Was mittlerweile durch den Club einen verbindlichen Rahmen gefunden hat, ist im Kern ein alter Freundeskreis polnischer Kulturschaffender, die sich größtenteils nach der Emigration in Westberlin kennen gelernt haben. Zu ihnen gehören neben Mausere der Grafiker Piotr Mordel und der Autor Leszek Oswiecimski.

Die meisten von ihnen haben Polen wegen des politischen Klimas vor 1989 verlassen – wobei sie sowohl dem Regierungskurs wie auch der Solidarność kritisch gegenüberstanden. Anders als Migranten, die als Flüchtlinge oder Gastarbeiter gekommen sind, haben diese Polen Berlin als Aufenthaltsort freiwillig gewählt. Und anders als jene haben sie in Berlin weder die eigene abgeschlossene Community gesucht noch eine vollständige Integration angestrebt. Dagegen entstand, wie Mausere es beschreibt, ein eigenes Milieu, das nach einem Ausdruck suchte. Und den Berlinern ein paar peinliche Fragen stellte. Was ist Scheitern? Und wer scheitert zuletzt?

Herausgekommen ist nicht weniger als das Fragment einer kulturellen Geografie des Scheiterns. „Die westliche, brave, korrekte, maßvolle Welt verwirft jegliche positive Konzeption des Versagen“, schreibt der Autor Herman in der hauseigenen Zeitschrift Kolano (das Knie).

Je weiter man nach Osten vordringe, würde dieser negative Begriff bereits mit mehr Nachsicht verwendet – in Polen beispielsweise würde der „nieudacznik“ (der, dem nichts gelingt) mit einem nachsichtigen, eventuell leicht überheblichen Lächeln quittiert, während der deutsche „Versager“ eher Aggressionen provoziert.

Den polnischen Versagern geht es also um eine kulturelle Aneignung positiver Aspekte des Scheiterns. Scheitern bewusst zu erfahren, begreift etwa der polnische Schriftsteller Gombrowicz als Keimzelle von Lebendigkeit. Und ist der Gegensatz von Scheitern und Gelingen nicht sowieso fragwürdig? Was, wenn sich zeigen sollte, dass die Improvisationen der Glücksritter irgendwelcher informellen Ökonomien in Berlin immer noch erfolgreicher sind als die angeblich seriösen Geschäftsleute der Berliner Bankgesellschaft?

Um aus dem Dilemma herauszukommen, rufen die polnischen Versager zum Bekenntnis zur Unzulänglichkeit auf, „jenseits des Terrors der Vollkommenheit“. Dieses Bekenntnis schließt das eigene künstlerische Werk mit ein. „Man darf keine Angst mehr davor haben, vom Herzen zu sprechen“, schließt Herman daher seinen Artikel in Kolano, „sogar dann, wenn nur lauter Dummheiten dabei herauskommen.“

Die polnischen Versager sind bei ihrer Mission angenehm unprätentiös. Wer nichts weiter möchte, als sich etwa über ein Konzert für Hunde zu wundern, kann es dabei belassen. Wer sich näher mit ihnen befassen will, kann auch das tun. Eine Gefahr besteht darin, dass der Club zu sympathisch daherkommt – und sich damit auf die Dauer selbst ein Bein stellt. Ironie kommt immer gut an, zumal bei den Szenegängern in Mitte. Seit Kaminers erfolgreicher Russendisko im benachbarten Kaffee Burger gefallen östliche Zuwanderer in dieser Gegend ohnehin. Kaffee Burger, Russendisko, russischer Plattenladen und polnische Versager verschwimmen zur leicht konsumierbaren Folklore, versetzt mit einem Schuss Retrowelle.

Bereits jetzt schieben sich am Wochenende jene Mittdreißiger durch den Laden, die von weitem zehn oder fünfzehn Jahre jünger aussehen und meist irgendwelche Seventies-Accessoires tragen. Die polnischen Versager werden langsam bekannt. Die Medien haben sie entdeckt, selbst Alfred Biolek hat sie bereits in seine Fernsehshow eingeladen. Zwischen der gelungenen Provokation und dem Beitrag zur Unterhaltungsindustrie lag immer schon eine hauchdünne Grenze. Die bekennenden Tolpatsche haben sie vielleicht schon überschritten.