: Nur 30 Sekunden
Auch Bayern wollte NPD-Verfahrenszeugen als Spitzel
MÜNCHEN taz ■ Bisher hat sich der Hauptinitiator des NPD-Verbotsverfahrens, Bayerns CSU-Innenminister Günther Beckstein, in der V-Mann-Pannenserie gut aus der Affäre gezogen. Denn in den Anträgen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim Verfassungsgericht flogen nur Spitzel von außerbayerischen Verfassungsschützern auf. Jetzt jedoch musste der Verfassungsschutzpräsident des Freistaats, Günter Gold, gegenüber dem Bundesverfassungsgericht eine Erklärung widerrufen. Das bestätigte am Wochenende Becksteins Ministerium.
Vor drei Wochen hatten die Chefs aller Landesverfassungsschutzämter dem Gericht versichert, sämtliche Kontakte zu den 14 als Zeugen benannten NPD-Funktionären offengelegt zu haben. Gold unterschlug allerdings laut Spiegel, dass der bayerische Geheimdienst am 11. April 2001 vergeblich versucht hatte, den NPD-Funktionär Jürgen Distler als V-Mann zu gewinnen. Becksteins oberster Verfassungsschützer entschuldigte sich mit großem Bedauern bei den Richtern. Das Anwerbegespräch habe bloß 30 Sekunden gedauert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die für Februar angesetzte mündliche Verhandlung zum Verbotsverfahren abgesagt, nachdem es erfahren hatte, dass ein Zeuge Informant des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gewesen war. Über das weitere Verfahren ist noch nicht entschieden.
Die Innenexpertin der bayerischen Landtags-Grünen, Susanna Tausendfreund, sagte der taz: „Beckstein bringt so das NPD-Verbotsverfahren ins wanken.“ Trotz Nachfragen habe er dem Landtag den Vorgang verschwiegen. Es sei an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten, dass er auch dem Gericht nicht mitgeteilt wurde. „So langsam weiß man nicht mehr, wer hier wessen Tarnorganisation ist“, sagte die Abgeordnete. Das Anwerben von Funktionären widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen. V-Leute dürften lediglich Beobachter und nicht agierende Politiker sein.
Bereits vorletzte Woche hatte der Innenminister im Landtag einräumen müssen, dass im Juni 2000 ein NPD-Landesvorstandsmitglied als Spitzel geworben werden sollte. Der auf einem Tonband mitgeschnittene Versuch schlug ebenfalls fehl. Zugleich erklärte Beckstein, dass von den über 50 Behördenzeugnissen im Bundesratsantrag, 29 indirekt bayerische V-Mann-Aussagen wiedergeben. OLIVER HINZ
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