piwik no script img

Und bald nur noch im Wohnzimmer

Tote Hose in der Stadt: Mit der zweiten Clubnacht warnt die Clubkommission vor der drohenden Verkleinbürgerung Berlins. Dabei fordert man nicht einmal Aufbauhilfe, sondern nur einen zögerlicheren Umgang mit der Abrissbirne

Dass es mit Berlins Exzentrik nicht mehr so weit her ist, zeigt sich schon jetzt

Wenn es um das junge Berlin geht, ist die Politprominenz schnell zur Stelle. Diepgen gefiel sich immer gut als Oberraver auf der Love Parade, bei der Echo-Verleihung vorgestern präsentierte Wowereit den Berliner Nachwuchsförderpreis, und Gysi freut sich bereits darauf, dass bald der Popmusikbranchenführer Universal an die Spree zieht. Solange die Popkultur als direkter Wirtschaftsfaktor daherkommt, ist sie gerne gesehen in Berlin, doch wo sich die Szene widerspenstig gibt und keine große Lust auf Vereinnahmung hat, wird lieber dagegen gesteuert. Die Klage über die Zerstörung von subkulturellen Biotopen in dieser Stadt, die wenig sensible Abwicklung von etablierten Clubs und rigorose Nichtduldung nur halb legaler Clubs sind inzwischen zu einem Orkan der Entrüstung angeschwollen. Der Ausgehveteran Jürgen Laarmann warnt schon länger vor einer anstehenden „Munichfizierung“, nur dass selbst in München inzwischen wieder gute Clubs wie die „Erste Liga“ entstehen, während hier das Gejammer über das vorläufige Ende der Maria immer noch groß ist, und wenn erst das WMF, das Ostgut und wer da sonst noch auf der Abschussliste steht, ihre Pforten geschlossen haben, wird man die Tränen kaum noch getrocknet bekommen.

Wenn es die da oben nicht in unserem Sinne geregelt bekommen, müssen wir eben selbst etwas unternehmen, dachten sich ein paar Szene-Interessenvertreter und gründeten auf Initiative von Olaf „Gemse“ Kretschmar vom Oxymoron hin die Clubkommission Berlin. Diese möchte, ähnlich wie eine Tierschutzvereinigung gegenüber bedrohten Tieren und ihren Lebensräumen, auf die drohende Verkleinbürgerung Berlins durch die Verdrängung Angehöriger anderer Lebensentwürfe aufmerksam machen. Wie Kristian Wolff, Booker des Roten Salons und Mitglied der Clubkommission, deutlich macht, soll es dabei gar nicht mal um die Einforderung fehlender finanzieller Unterstützung seitens des Senats gehen, sondern einfach nur darum, „dass uns keine weiteren Stöcke zwischen die Beine geschmissen werden“.

Man will also nicht einmal Aufbauhilfe, sondern lediglich einen zögerlicheren Umgang mit der Abrissbirne. Denn Wolff und die Clubkommission sehen sich in Berlin mit einem immer schizophreneren Strukturproblem konfrontiert: Einerseits greift bei Universal die Wirtschaftsförderung, während auf der anderen Seite überhaupt nicht gesehen wird, was gerade die Nischen in Berlin, die Kellerclubs und Hinterhofbars für den Imagefaktor Berlins tun. Wegen des versprochenen aufregenden Nachtlebens kommen die jungen Leute schließlich überhaupt hierher und bleiben dann weg, wenn das eintritt, was Wolff befürchtet, nämlich „dass sich Berlin zu einer ganz normalen Großstadt entwickelt. Wir sind auf dem besten Weg dorthin.“

Dass es mit Berlins Exzentrik nicht mehr so weit her ist, zeigt sich jetzt schon. „Wo kann man hier unter der Woche noch ausgehen?“, fragt Wolff, und wenn man sich die letzten Ausgaben des Flyer vornimmt, der vom Clubkommission-Pressesprecher und CDU-Spezl Marc Wohlrahbe herausgegeben wird, muss man feststellen, dass der Programmteil plötzlich „Weekender“ heißt, soll sagen: Unter der Woche ist hier sowieso tote Hose.

Mit der nun zum zweiten Mal stattfindenden Clubnacht möchte die Clubkommsission durch die Herausstreichung der Berliner Clubvielfalt gegen die neue Tendenz zur Stromlinienförmigkeit mobil machen. 19 Ausgehläden beteiligen sich an dieser langen Nacht der Clubs, bei der es auch darum gehen soll, Schranken zwischen den Szeneangehörigen abzubauen und als Raver mal ins Konrad Tönz zu schauen und als Schlagerfan im Tresor vielleicht eine E zu klinken. Toleranz fängt unten an, vielleicht kriegen die da oben dann auch etwas davon mit.

ANDREAS HARTMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen