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Vielfalt durch Kurzlebigkeit

Heute lockt die Clubnacht in Lokale, die gepflegtes Abhängen ohne miefige Spießigkeit garantieren. Doch gibt es ein Clubsterben? Die Analyse eines Kulturwissenschaftlers und notorischen Clubgründers

von THOMAS REDEKOP

Die 19 Clubs, deren Zusammenschluss in der Berliner Clubnacht sich heute zum zweiten Mal jährt, eint nicht nur, dass sie für einen Abend allen Besuchern für ein Salär von 11 Euro ihre Pforten öffnen. Einigkeit besteht zwischen diesen Lokalen ganz besonderer Art auch in einem Ziel: ihrem drohenden Entschwinden aus dem Berliner Stadtbild Paroli zu bieten.

Dabei können die Clubs in der Hauptstadt durchaus auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken: Das Genre von Lokalen, das dem Loungebedürfnis der Berliner Diskomuffel ein gepflegtes Abhängen auch außerhalb der miefigen Spießigkeit der späten Siebzigerjahre bietet, kannte und kennt ein simples, aber wirkungsvolles Rezept. Keller, Wohnungen und Industriegebäude werden mit kurzfristigen Nutzungsverträgen so lange beclubbt, bis sich ein neuer Nutzer findet oder entnervte Nachbarn die Polizei rufen.

Wer nun behauptet, Berlin sei Clubhauptstadt, kommt nicht darum herum, das große Clubsterben so lange herbeizuschreiben, bis es auf einmal für jeden greifbar scheint. Der Mythos der Clubhauptstadt ist ungebrochen, und schließen kleine Institutionen wie das Maria am Ostbahnhof, das WMF und Ostgut ihre Pforten, bangen sogleich selbst ernannte Partypäpste um die Reputation ihrer Partyhauptstadt. Berlin – dit war’s.

Dabei lebt die so genannte Berliner Clubszene gerade von ihrer Vielfalt, die durch eine gewisse Kurzlebigkeit der größeren und kleineren Projekte garantiert wird. Wer heute das Verlangen nach mehr Abwechslung in sich verspürt, findet sich morgen schon als Betreiber einer Wochentagsbar wieder.

„Learning by doing“ heißt das magische Stichwort, das vorwiegend Clubbesucher aus den alten Bundesländern zu Betreibern unserer selbst ernannten Clubhauptstadt generiert. Fernab von gaststättengewerblichen Auflagen tun sich wider Erwarten immer wieder neue Nischen auf, die Machern und Besuchern gleichermaßen ein kostengünstiges Vergnügen in heimischer Atmosphäre bieten.

Und oft versteckt sich hinter den abenteuerlichen Schnitzeljagden zur nächsten Location der ungebrochene Idealismus von Partyenthusiasten, die sich außerhalb der eigenen vier Wände unter dem Deckmantel einer Galerie oder eines Vereins auch einmal als Raumgestalter, DJs und Cocktailmixer erproben wollen.

Der ungebrochene Zuzug von Personen aus dem Kunst- und Studentenspektrum sowie kurzzeitige Nutzungsverträge sichern dabei den Bestand einer Clubkultur, die ihre Wurzeln im steten Umzug gefunden hat und deren etablierten Auswüchsen ich keine Träne nachweine, denn stetig drängt der alternde Nachwuchs.

Der Autor Thomas Redekop (33) war selbst am Betreiben so genannter Wohnungsbars beteiligt und hat kürzlich seine Magisterarbeit im Fach Kulturwissenschaften über das Phänomen der Friedrichshainer Wohnzimmerbars geschrieben.bericht SEITE 37

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