: Downtown ringt noch immer um Luft
Anwohner, Rettungs- und Räumarbeiter klagen über „World-Trade-Center-Husten“. Bisher haben die US-Umweltbehörden die Luft um Ground Zero für völlig harmlos erklärt. Die Messungen zeigen aber deutlich erhöhte Dioxin-, Asbest- und Bleiwerte
aus New York NICOLA LIEBERT
Carl B. hat Manhattan samt Frau und Kindern verlassen. Der Investmentbanker, der sich früher glücklich schätzte, dass er zu Fuß zu seinem Arbeitsplatz in der Nähe der Wall Street gehen konnte, ist seit den Terroranschlägen am 11. September nur noch wenige Male in seine alte Wohnung zurückgekehrt, um wichtige Dokumente und ein paar Erinnerungsstücke zu retten. Die hat er sorgfältig von dem ätzenden Staub befreit, der sich zentimeterdick auf alles legte, als das World Trade Center in sich zusammenfiel. „Jedes Mal, wenn ich in der Wohnung war, hatte ich einen seltsamen metallischen Geschmack im Mund, Kopfweh und starken Husten.“
Trotzdem schätzt die Stadtverwaltung, dass rund drei Viertel der zirka 20.000 New Yorker, die in der Umgebung des World Trade Centers zu Hause waren, inzwischen zurückgekehrt sind. Ob ihre Wohnungen sicher sind, wissen sie allerdings nicht. Zwar ist der Staub, der fast die ganze Südspitze Manhattans bedeckte, weggeputzt und auch der Gestank nach schwelendem Kunststoff, der selbst noch im November über den südlichen Stadtteilen gelegen hat, ist verflogen. Die Unsicherheit ist aber gewachsen.
Vor allem Rettungs- und Räumungsarbeiter, aber auch Anwohner und Angestellte in den nahe gelegenen Bürotürmen haben in den Wochen nach dem Anschlag an Asthma, Nasenbluten, Augenreizungen oder Kopfweh gelitten – und leiden zum Teil noch daran. Der Verband der Feuerwehrleute berichtet, dass ein Drittel seiner Mitglieder über „World-Trade-Center-Husten“ klagt. Deshalb glauben nicht alle den Behörden, die seit dem 11. September gebetsmühlenartig die Qualität der Luft beschwören. Der Umweltmediziner Stephen Levin bestätigt: „Die pauschalen Beruhigungsfloskeln stimmen nicht mit unseren klinischen Beobachtungen überein.“
Wer auf der Website der EPA, der Umweltbehörde des Bundes, nach Messdaten suchte, hatte lange kein Glück. Noch Wochen nach dem Anschlag standen da nur allgemeine Floskeln wie: „Die Luftüberwachung der EPA nahe des World Trade Centers hat keine Umweltgifte entdeckt.“
Noch ist nichts über das Ausmaß der Umweltbelastungen bekannt. Aber alleine das Verbrennen ungeheurer Massen von Plastikstellwänden, Computergehäusen und sonstigen Kunststoffgegenständen im World-Trade-Center lässt eine erhöhte Dioxinbelastung befürchten. Ein Wissenschaftler der Columbia University, der mit tragbaren Messgeräten am Katastrophenschauplatz unterwegs war, wollten sich nicht äußern. „Ich habe strikte Anweisung, nichts über unsere Ergebnisse zu sagen“, wand sich der Wissenschafter. „Wenn die an die Öffentlichkeit kommen, dann bin ich meine Finanzierung los.“
Erst als die New Yorker Umweltorganisation Environmental Law and Justice Project Ende Oktober von den Behörden unter Berufung auf die Informationsfreiheit die Messdaten anforderte, zeigte sich, dass nicht alles so harmlos war. Die Werte für Asbest, Dioxin, PCB, Benzol und Blei waren deutlich erhöht. „Sie haben versucht, ein falsches Gefühl von Sicherheit zu verbreiten, vermutlich aus Angst vor einem Massenwegzug“, kritisiert Joel Kupferman, Gründer der Umweltinitiative. Die EPA selbst trägt zur Beruhigung nicht bei. Zwar will sie kaum Asbest gemessen haben und betont, die Rückkehr in Wohnungen und Büros nahe Ground Zero sei sicher. Andererseits aber rät sie Hausbesitzern, professionelle Asbestreinigungstrupps zu beauftragen.
Die Widersprüche erklären sich möglicherweise durch die Messmethoden. Ein vom Environmental Law and Justice Project beauftragter kommerzieller Umweltmessdienst ermittelte in einer Wohnung in der Nähe des Katastrophenorts Asbestwerte, die bis zu 550-mal über den Grenzwerten lagen. Die EPA misst dagegen nur im Freien bei frischer Luft und gibt lediglich 24 Durchschnittswerte an. Der Wirtschaftsinformationsdienst Dow Jones, der Büros im nahen World Financial Center hatte, wird jedenfalls keinesfalls vor dem Sommer dorthin zurückkehren. Denn so lange würden die Reinigungsarbeiten noch dauern.
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