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Bedauerndes Achselzucken

Bei einem Seminar mit Führungskräften der Polizei suchen Politiker Konzepte für den 1. Mai

von PLUTONIA PLARRE

Der 1. Mai stand nicht auf der Tagesordnung, und doch war das Thema allgegenwärtig. Der amtierende Polizeipräsident, Gerd Neubeck, warf den ersten Stein, als er gestern bei seiner Begrüßungsansprache in der Landespolizeischule bei einem Seminar für angehende Polizeiführungskräfte „unseren 1. Mai“ ansprach und forderte: Der Deeskalation sei „Vorrang einzuräumen“ und das AHA-Antigewaltprogramm der Polizei „auszuweiten“.

Eigentlich lautete der Titel des Seminars ganz allgemein und unerotisch: „Die Bewältigung von länderübergreifenden Großlagen unter besonderer Berücksichtigung von Masseningewahrsamnahmen“. Aber auch bei der Podiumsdiskussion mit den innenpolitischen Sprechern der Abgeordnetenhausfraktionen war der 1. Mai das bestimmende Thema. Genauer gesagt die Initiative des Personenbündnisses um den FU-Professor Peter Grottian für einen friedlichen, polizeifreien 1. Mai in Kreuzberg.

Offiziell hüllt sich die Polizei zu dazu in Stillschweigen. Intern, das zeigte die Diskussion, stößt die Initiative jedoch auf große Zustimmung. Es sei „toll“, was die Leute um Grottian „da ins Leben gerufen haben“, konstatierte der Leiter des Lagezentrums, Herbert Lehniger. Seine Sorge sei aber, dass die Initiative die gewaltbereiten Teile der autonomen Szene erst recht zu Krawallen motiviere. An die Politiker richtete Lehniger deshalb die Bitte zu versuchen, Einfluss auf diese Gruppierungen zu nehmen.

Marion Seelig (PDS) zuckte bedauernd die Achseln. Man werde sich bemühen. Das Ganze sei aber eine ziemliche „Gratwanderung“, weil diese Gruppierungen entsprechende Versuche sofort als „negative Einflussnahme“ werten würden. Auch Wolfgang Wieland (Grüne) pries die Grottian-Initiative. „Wir sind auf dem richtigen Weg, müssen aber einen langen Atem haben“, sagte er. In diesem Jahr werde es wohl noch nicht klappen, glaubte Wieland. Dann vielleicht nächstes Jahr, hoffte Heidemarie Fischer (SPD) und versprach, sich ab dem 2. Mai 2002 mit Verve für ein breites gesellschaftliches Bündnis für einen friedlichen 1. Mai 2003 einzusetzen. Etwas mehr Einfallsreichtum stellte der FDP-Innenpolitiker Alexander Ritzmann unter Beweis. Bei den Anwohnern und Nachbarschaftsinitiativen müsse dafür geworben werden, dass die Leute aus dem Kiez am Tag der Arbeit nicht ins Grüne führen und den Stadtteil dem Chaos überließen.

Nur Roland Gewalt (CDU) stellte fest: Grottians Initiative sei „genau der falsche Ansatz“. Dem Innensenator Erhart Körting (SPD) gab er den „dringenden Rat“, nicht dem Anliegen zu folgen und die Polizei aus dem Kiez rauszuziehen: „Sonst kann der Innensenator am 2. Mai gleich seinen Rücktritt antreten.“

Am Ende waren alle so schlau wie vorher. Eigentlich, konstatierte der die Diskussion leitende Polizeihauptkommissar Dirk Schnurpfeil, hätten die Politiker zeigen sollen, welche Rolle Politik bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme spiele. „Das ist aber leider nicht gelungen.“

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