: Parole: Ein Sieg ist möglich
Die Pläne für einen Einsatz von Atomwaffen sind nicht neu. Seit den Neunzigerjahren wurden „Mini-Nukes“ für einen führbaren Atomkrieg entwickelt
von ERIC CHAUVISTRÉ
„Bislang war es die Aufgabe des militärischen Apparats, Kriege zu gewinnen. Von nun an wird es seine Hauptaufgabe sein, sie zu verhindern. Es kann keinen anderen nützlichen Zweck haben.“ Der 1946 von dem US-Militärstrategen Bernard Brodie aufgeschriebene Grundsatz ist fast so alt wie die Atombombe selbst. Und nie haben die Militärplaner in den Atomwaffenstaaten tatsächlich an den Grundsatz geglaubt, dass die „absolute Waffe“ zur Durchsetzung militärischer Ziele nicht geeignet ist. Die Bush-Regierung, das steht seit der Veröffentlichung der Details aus der geheimen Nuclear Posture Review fest, hat sich nun in einem offiziellen Dokument denkbar deutlich von dieser Haltung entfernt.
„Atomare Angriffsoptionen, die in Umfang, Ausmaß und Zweck variieren, werden die militärischen Fähigkeiten ergänzen“, heißt es in dem Papier, aus dem am Wochenende US-amerikanische Zeitungen ausführlich zitierten und dessen Inhalt Mitglieder der Bush-Regierung in seinen Grundzügen bestätigten. Dabei wurden auch mögliche neue Zielländer genannt: Neben den Mitgliedern von Bushs „Achse des Bösen“ – Irak, Iran und Nordkorea – stehen auch Libyen und Syrien auf der Liste. Nicht überraschend ist, dass die Atommächte China und Russland weiterhin genannt werden; sie haben zumindest die technische Fähigkeit, die USA mit Atomwaffen zu bedrohen.
Einem Außenminister steht es natürlich nicht gut an, wenn sich andere Staaten als potenzielle Atomwaffenziele in Dokumenten seiner Regierung wiederfinden. Colin Powell wiegelte deshalb ab und hat formell sogar Recht, wenn er behauptet: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist auf kein Land dieser Erde routinemäßig eine US-Atomwaffe gerichtet.“ Eines verschweigt Powell allerdings: Seit Mitte der Neunzigerjahre wurde die Technologie für die Zieleingabe der US-Atomwaffen so vereinfacht, dass diese nicht mehr dauerhaft programmiert sein müssen. Die Zieleingabe ist nach Angaben von US-Militärs innerhalb „weniger Minuten“ möglich.
Gegen Kritik aus der Nato hat die US-Regierung allerdings ein gutes Argument. Das im April 1999 verabschiedete „Strategische Konzept“ erlaubt den Atomwaffeneinsatz, ohne dass zuvor ein atomarer Angriff stattgefunden hat. Auch im geheimen Nato-Dokument MC 400/2 vom Mai 2000, mit dem die politischen Vorgaben des „strategischen Konzepts“ für die militärische Planung präzisiert wurden, findet sich die Option für den Ersteinsatz von Atomwaffen.
Für diesen Zweck sind auch in der Bundesrepublik allein mehr als hundert Bomben stationiert. Zum Teil sind diese Waffen sogar zur Bewaffnung deutscher Kampfflugzeuge vorgesehen. Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation hat sich daran nichts geändert. Für den Fall eines Krieges in Europa wollte die Nato damals Atomwaffen frühzeitig gegen sowjetische Panzerverbände einsetzen. Doch mit einem atomaren Angriff auf die sowjetischen Truppen hätte man einen Atomstaat getroffen und somit auch einen atomaren Gegenangriff auf das Festland der USA riskiert. Diese Befürchtung brauchen die USA bei Atomwaffeneinsätzen gegen die neu aufgelisteten Staaten nicht zu haben – die Hemmschwelle sinkt.
Die Festlegungen in der Nuclear Posture Review sind aber auch nur der Abschluss einer Entwicklung. 1993 forderten die Stabschefs der US-Streitkräfte in dem zunächst geheimen „Stratplan 2010“ die Entwicklung so genannter „Mini-Nukes“ – eben jene vermeintlich kleinen und einsetzbaren Atomwaffen, die jetzt wieder in dem Dokument der Bush-Regierung auftauchen. Damit die USA weiterhin behaupten können, sie würden keine neuen Atomwaffen entwickeln, wie jetzt wieder Außenminister Powell, beschloss schon die Clinton-Regierung, für die Neuentwicklungen die Bezeichnung der bereits bestehenden Waffe mit der Kennzeichnung B-61 zu verwenden. Die neu entwickelten Bomben gelten seitdem als Modifikationen dieser Waffe.
Gleichzeitig redete die US-Regierung verstärkt von „Massenvernichtungswaffen“. Die pauschale Gleichsetzung hatte Methode: Ein Angriff etwa auf ein angebliches Biowaffenlabor mit einer Atombombe wurde somit zu einer angeblich gleichwertigen Antwort. Die Bush-Regierung knüpft daran an. „Wir alle wollen die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen verringern“, verteidigte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice am Wochenende die Pläne der USA. Mit der Atomwaffe sollen wieder Kriege gewonnen werden.
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