: Hoffen auf neue Skandale
Renate Künast ist ein Opfer des eigenen Erfolgs: Seit sie BSE in den Griff bekam, ist Verbraucherschutz kein Thema mehr
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Als Renate Künast ihre erste Regierungserklärung abgab, stand der Kanzler eilig auf, um ihr als Erster zu gratulieren. Er wollte zeigen, wie wichtig ihm das Thema ist. Das ist gut ein Jahr her. Gestern, zu Künasts zweiter Regierungserklärung, erschien Gerhard Schröder nicht einmal: Aus dem Verbraucherthema ist die Luft raus.
Nichts illustrierte das so krass wie die gestrige Bundestagsdebatte. Auch die Fraktionschefs, die vor einem Jahr noch erregt gestritten hatten, hielten sich zurück. Gestern antworteten der Verbraucherministerin ausschließlich Hinterbänkler, überwiegend auf erschreckendem Niveau.
Die bürgerliche Opposition flüchtete sich in Polemik, beschimpfte Künast wahlweise als „Ideologieministerin“, als eine dem „Okkulten“ verhaftete Politikerin oder schlicht als „Verbrauchertäuscherin“. Die Debatte war so blass, dass es selbst die Politker langweilte. Der Grüne Reinhard Loske sagte seinen Beitrag ab und verließ das Plenum.
Dabei hätte Künasts Bilanz zum morgigen Weltverbrauchertag genügend Stoff für eine interessante Debatte geboten – vom Umbau der Verbraucherschutzämter über das Biosiegel bis hin zum Verbraucherinformationsgesetz, das erst noch durch den Bundestag muss. Vor einem Jahr versuchten die Parteien noch, sich jeweils als die einzig wahren Verbraucherschützer zu präsentieren. Jetzt reicht das Interesse nicht einmal mehr für eine vernünftige Debatte, geschweige denn für den Wahlkampf.
Das liegt paradoxer Weise auch an Renate Künasts Erfolg: Sie hat die BSE-Krise so schnell und so glaubwürdig in den Griff bekommen, dass inzwischen wieder kräftig Rindfleisch verzehrt wird. Auch die Untiefen von Risikomaterial, Milchaustauscher oder Maul-und-Klauenseuche umschiffte sie, ohne jemals aufzulaufen. Und ohne großen Skandal gibt es offenbar auch kein großes Interesse.
Selbst die Grünen wollen die beliebte Verbraucherministerin nicht in die vorderste Reihe ihres Wahlkampfteams stellen. Da steht allein Fischer. Künast ist nur eine von sieben Grünen, die den Parteipatriarchen im Wahlkampf umrahmen. Auch zu den vier großen Kampagnenthemen gehört der Verbraucherschutz nicht mehr – anders als noch vor einem Jahr geplant. Angesichts der Rezession soll der Verbraucher nur noch konsumieren – für den Aufschwung.
In der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker fiel Künast vom dritten auf den neunten Platz zurück. Damit ist sie zwar immer noch das viertbeliebteste Regierungsmitglied – doch im Kabinett musste sie gerade einen schweren Schlag hinnehmen. Das von ihr angeschobene Verbraucherinformationsgesetz wurde von den Kollegen stark eingedampft. Künasts Versuch, das Verbraucherthema von der Agrarwende auf alle Produktsparten auszuweiten, scheiterte am Widerstand von Kanzleramt und Wirtschaftsministerium.
Überhaupt die SPD. Kein Sozialdemokrat von Gewicht hat sich die Mühe gemacht, sich als Schützer der Verbraucher zu profilieren. Der Kanzler beschränkte sich auf seine Agrarwende und den Kampf gegen die „Agrarfabriken“, blockte ansonsten aber ab. Auch der Versuch der grünen Fraktion, strahlungsärmere Mobiltelefone vorzuschreiben, scheiterte an Gerhard Schröders Veto.
Künast konnte gestern im Bundestag zwar einige Projekte jenseits der Lebensmittel nennen. Manche von ihnen sind sogar älter als Künasts Ministerium – etwa das neue Insolvenzrecht für überschuldete Privatpersonen oder die Abschaffung des Rabattgesetzes. Doch das große Symbol fehlt noch. Die Informationspflicht der Hersteller hätte es werden können – wenn, ja wenn Künast es nur durch das Kabinett bekommen hätte.
Im Verbraucherministerium trösten sich die Grünen mit zwei Gedanken: Erstens sei man noch am Anfang, und zweitens werde der nächste Skandal schon kommen. Spätestens dann sei immer noch Gelegenheit, nachzubessern. Themen gebe es genug.
Die Ministerin unterstrich ihren Ansatz gestern im Bundestag mit einem chinesischen Sprichwort: „Jede große Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wir haben den ersten Schritt getan.“ Diese Rhetorik der ersten Schritte war auch aus der SPD zu vernehmen. Nach 14 Monaten klingt das mehr als kleinmütig. Kinder können in diesem Alter bereits laufen.
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