piwik no script img

Mit fünf an der Bar

Menschwerdung frühzeitig abgeschlossen: Fettes Brot boten wahrlich generationenübergreifende HipHop-Unterhaltung in der Columbiahalle

von THOMAS WINKLER

Als wir ankommen, sind die Kinder schon alle da. Nur: bei weitem nicht so viele wie erwartet. Keine kreischenden Pubertierenden, kein von der Bravo provoziertes Aufgebot und kaum picklige Jungs mit Schlabberjeans von hier bis ins Elefantengehege füllen die Columbiahalle anlässlich des Auftritts von Fettes Brot. Stattdessen einige, die schon die Führerscheinprüfung ablegen dürfen, und viele, die ihre Menschwerdung bereits vollständig abgeschlossen haben.

Trotzdem: „Ich habe einen gesehen, der war höchstens fünf Jahre alt“, berichtet die 13-Jährige, nachdem sie nur kurz aus den Augen gelassen wurde, „ich bin also nicht die Kleinste hier.“ Das ist schön für sie, aber Fünfjährige? Wo? „An der Bar.“ In dem Alter blüht die Fantasie wirklich in den schillerndsten Farben.

Weil aber tatsächlich nur die wenigsten morgen früh raus- und in die Schule müssen, legt erst mal ein DJ auf und dann spielen zwei, die sich Skunk Funk nennen, die undankbare Einheizer-Rolle. „Ich find die irgendwie toll, irgendwie“, sagt die 13-Jährige, und dann noch, ganz ernsthaft, den seltsamen Satz: „Man muss jungen Talenten doch eine Chance geben.“ Wo hat sie das bloß her? Tatsächlich aber dürfte das Durchschnittsalter des Rap-Duos nur wenig unter dem ihres Vaters liegen und die kleinen, sympathischen Bäuchlein dürften sogar noch etwas größer sein.

Das mit dem Einheizen geht schief, weil das Publikum die Sache mit der politisch korrekten Reminiszenz an die glorreichen Zeiten der HipHop-Jam nicht akzeptieren will, sondern lieber loyal auf seine Helden wartet. Yo, das ist ein Konzert, man, früher war früher und jetzt ist alles wieder wie ganz früher.

Kaum kündigt sich das Erscheinen von Fettes Brot an, hebt entzücktes Raunen an. Die Vorfreude wandelt sich binnen Sekunden in Ekstase, als Schiffmeister, König Boris und Dokter Renz in ebenso einheitlichen wie hässlichen Jogginganzügen schmucklos auf die Bühne stürmen und beginnen, einen Hit nach dem anderen zu rappen.

Dabei kann man vor allem eins feststellen: wie viele Hits, kleine und große, das Hamburger Trio seit Mitte der 90er-Jahre, seit „Nordisch by Nature“, doch tatsächlich schon gesammelt hat. Kopfnickerbretter folgen auf Balladen, Partyhymnen auf kitschige Popsongs, viele Songs kann man mitsingen, jeden kennt man irgendwie und der Rest hört sich immer an wie ein Lied, das man kennen sollte. „Meh’ Bier“ kommt im Stakkato von der Bühne, Fäuste ballen sich im Takt und eine 13-Jährige nickt heftiger als vorher. Irgendetwas hat sie zu Hause wohl nicht ganz vollständig erzählt.

Einstudiert wie nicht einstudiert klingende Trialoge, zotige Sprüche und hüftsteife Tanzeinlagen komplettieren die Show der drei Brote, die mittlerweile offensichtlich zu Unterhaltungsprofis gewachsen sind. Tatsächlich gibt es so viele Hits, dass sie das unverschämt eingängige „Viele Wege führen nach Rom“ gar nicht spielen müssen und sich die letzten beiden Singles „The Großer“ und „Schwule Mädchen“ für die Zugaben aufheben können. Anlässlich des Letzeren wird die gut gefüllte Halle zu etwas, das mit Gitarrenbegleitung Moshpit heißen würde.

Gitarre aber gibt es nur einmal kurz als Witz. Stattdessen aber strophenweise Coverversionen von den Absoluten Beginnern, von Blumentopf und Freundeskreis, von Eins, Zwo und Deichkind, von einigen der größten Erfolge des deutschen HipHop. Mit diesem Medley entlassen Fettes Brot mindestens zwei Generationen von Fans in die kalte Nacht – und mit der damit verbundenen Versicherung, dass Rap in D zwar nicht mehr so richtig fresh am Start, aber doch zumindest noch halbwegs am Leben ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen