: Wandern mit Dr. Bauchfistel
Mit Glaubersalz und Ayurveda in die wunderbar wässrige Welt der Frühjahrsdiäten
Frühjahrsdiäten, also, da kenne ich nur das Heilfasten nach Dr. Bauchfinger. Man bekommt Frühstück, Mittagessen, Kaffeetrinken, Abendessen, ein Doppelzimmer, Morgengymnastik und abends Vorträge über Heilfasten nach Dr. Buchfink. Die meisten Heilfasten-Provider kombinieren diesen Service mit Wandern, den ganzen Tag wandern. Da kommt man wenigstens nicht auf den dummen Gedanken, mal schnell im nächsten Bistro einen Milchkaffee zu zischen oder einen Früchteeisbecher einzupfeifen. Ach ja, wo wir gerade beim Essen sind: Das Frühstück nach Dr. Birkenstock besteht aus 16 Sorten Tee, den man in der Gruppe an einem adrett gedeckten Tisch einnimmt, nach dem Motto: Wer schafft die meisten Tassen. Die Teesorten haben Namen wie Wüstensand, Strandhafer, Herbstgras und schmecken auch so. Das Mittagessen besteht aus einem Fingerhut Demeter-Saft, zum Beispiel Rote Bete, der dann mit einer stets bei sich zu führenden Thermoskanne voll klaren Wassers verdünnt werden muss, damit man keinen Vitamin- oder Kalorienschock bekommt. Das Kaffeetrinken besteht aus viel Mineral- oder Leitungswasser – zum Abendessen gibt es eine Wassersuppe, in der vorher Gemüse der Jahreszeit gebadet wurde. Wenn man ganz doll bittet, gibt’s ein paar Krümelchen Petersilie oder ein klitzekleines Teelöffelchen Hefeflocken dazu …
Das Schönste an Dr. Brühwarm ist die Darmentleerung, ganz besonders schön natürlich wieder in der Gruppe. Dieter, der diplomierte Fastenwanderer mit Klettersandalen und Pferdeschwanz, reicht jedem der Reihe nach den Trank (Glaubersalz in Wasser und ein Schuss Zitrone, damit’s nicht so eklig schmeckt) – und dann runter mit dem Zeug. Man will sich ja keine Blöße geben. Dazu kommt es aber dann doch meist schneller als erwartet – einer nach dem anderen verschwindet mit entschuldigendem Blick Richtung Toilette, die anderen verfolgen seinen gekrümmt-hastigen Laufstil mit mitleidiger, wissender Anteilnahme. Wer ist der Nächste? Dieses kathartische Gruppenerlebnis nach Dr. Bauchfistel ist einfach existenziell und so, jedenfalls irgendwie absolut …
Wer also Bescheid weiß und auf das Gruppenerlebnis schei …, na gut, pfeift, der macht das vor der Anreise ganz allein zu Hause. Allerdings braucht man dann noch einige besonders gute Ausreden, um die abendlichen Vorträge über die Darmreinigung nach Dr. Blähbauch mit liebevoller und detaillierter Präsentation der verschiedensten Darmreinigermodelle erfolgreich schwänzen zu können.
Alles andere ist dann easy. Schließlich sucht man sich fürs Heilfasten die schönsten Wanderorte aus: Mallorca, Südafrika, Usedom, Rügen. Wir waren auf Rügen und machten unseren gewohnten Abendspaziergang am Strand entlang just auf jenem Weg, auf dem man unweigerlich zu dem kleinen Kiosk gelangen musste, wo man ein Glas Wein bei einer schönen Zigarette, später auch mal ein Eis, ich bitte Sie, ein Eis, oder den guten dänischen Apfelkuchen mit Sahne … Wichtig ist, dass man dabei nicht einfach so mit der Tür ins Haus fällt. Durch kleine subtile Randbemerkungen versucht man in Erfahrung zu bringen, wo die potenziellen Bundesgenossen sich verborgen halten und des Outings harren. Bemerkungen wie: „Na ja, ganz so ernst muss man das ja alles nicht sehen mit dem Fasten. Sie schon gar nicht, bei Ihrer Superfigur.“ Oder: „Meine Ärztin sagt, dass ein Glas trockener Weißwein bei Einschlafproblemen während einer Fastenkur durchaus hilfreich …“ Mal so in die Runde streuen und auf die Reaktionen warten.
Übrigens, beim Abfasten muss man sich einen schönen Rastplatz in der Landschaft suchen, beispielsweise einen alten Thing-Baum – und dann reicht einem Dieter ein Achtel meditativ geschälten Apfel, den man 126 Mal kauen muss. Abends bekommt man dann das andere Achtel. Wem das nicht reicht, der hat ja immer noch den Kiosk.
Dr. Braumeister, der am letzten Abend persönlich anwesend war und den ich ein paarmal mit „Dr.Bodelschwingh“ oder auch mit „Dr. Bruchsal“ („Dr. Brechmittel“ hatte ich mir verkniffen) angesprochen hatte, machte mich darauf aufmerksam, dass ich den Wochenendkurs „Konzentration im Alltag mit Hilfe von Ayurveda“ mitmachen könne. Den sollte er mal lieber selber machen. Schließlich hatte er mich zweimal als Frau Schmidt und einmal als Frau Meier tituliert.
FANNY MÜLLER
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