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Das Recht setzt dem Präsidenten keine Frist

Nach der Verfassung darf Rau das Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes prüfen, solange er will. Erst danach ist die Union mit einer Klage in Karlsruhe am Zug. Auch die Richter können sich so viel Zeit nehmen, wie sie wollen – theoretisch sogar bis nach der Bundestagswahl

FREIBURG taz ■ Bundespräsident Johannes Rau steht zwar unter Druck, nicht aber unter Zeitdruck. Für die Prüfung, ob er das Zuwanderungsgesetz unterzeichnet, gibt es keine Fristen. Da das Gesetz erst zum Jahresbeginn 2003 in Kraft treten soll, ist auch der faktische Zeitdruck nicht allzu groß.

Wie weit die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten reicht, ist umstritten. Eindeutig ist aber, dass Rau prüfen kann und muss, ob das Gesetz ordnungsgemäß zustandegekommen ist. Hierzu zählt auch die Frage, ob der Bundesrat dem zustimmungspflichtigen Zuwanderungsgesetz tatsächlich zugestimmt hat. Rau könnte dazu juristische Gutachten einholen – nicht aber beim Bundesverfassungsgericht. Diese Möglichkeit wurde 1956 abgeschafft. In der Geschichte der Bundesrepublik sind von rund 5.800 Gesetzen nur 6 vom jeweiligen Bundespräsidenten nicht unterzeichnet worden.

Die Union hat angekündigt, nur dann Verfassungsklage zu erheben, wenn Rau das Gesetz unterzeichnet. Das macht Sinn: Karlsruhe wird kaum ein Rechtsschutzbedürfnis sehen, solange die Prüfung des Bundespräsidenten noch nicht abgeschlossen ist. Unterzeichnet Rau, könnte ein Drittel der Bundestagsabgeordneten (also die CDU/CSU-Fraktion) oder ein Bundesland (etwa Bayern) eine abstrakte Normenkontrollklage erheben. Da es keine sonstige verfassungsrechtliche Kritik am Gesetz gibt, würde dabei allein überprüft, ob die Zustimmung des Bundesrats ordnungsgemäß zustandegekommen ist.

Die Union könnte zugleich eine einstweilige Anordnung beantragen, damit das Gesetz nicht in Kraft tritt, bevor das Verfassungsgericht entschieden hat. Vermutlich würde Karlsruhe dann gleich in der Hauptsache urteilen – ob vor oder nach der Bundestagswahl, kann es aber frei festlegen.

In der Rechtswissenschaft gehen die Meinungen weit auseinander: Konnte der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) im Bundesrat eine „einheitliche“ Stimmabgabe seines Landes herbeiführen – oder war das brandenburgische Stimmverhalten uneinheitlich und damit ungültig? Obwohl die Frage eigentlich unpolitisch ist, sortieren sich die Antworten ganz nach den politischen Sympathien (siehe Spalte). Linksliberale Juristen halten es zumindest für möglich, Stolpes Verhalten als maßgeblich zu werten. Einen klaren Verfassungsbruch sehen dagegen konservative Juristen – vor allem, wenn sie eine CDU-Parteikarriere hinter sich haben wie die Exverfassungsrichter Roman Herzog oder Hans Hugo Klein.

CHRISTIAN RATH

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