: Völlig verstimmt
Stresemannstraße: Verfassungsrechtliches Nachspiel für taktisches Polit-Votum von Schwarz-Schill-Altona ■ Von Sven-Michael Veit
Für Hans Peter Bull ist die Sachlage eindeutig: „Wir haben es hier mit einem offensichtlich rechtswidrigen Verfahren zu tun“, kommentierte der renommierte Hamburger Verfassungsrechtler gestern gegenüber der taz. Der Stadtstaat betrete mit der Zustimmung der Schwarz-Schill-Fraktionen in der Bezirksversammlung Altona zum Bürgerbegehren gegen die Wiederöffnung der Stresemanstraße „juristisches Neuland“, befand Bull.
Eine solche „verfassungsrechtliche Situation, die sehr komplexe Rechtsfragen aufwirft, hat es so in Hamburg noch nicht gegeben“. Wie auch: Die Aufnahme der Volksgesetzgebung in die Landesverfassung durch Bürgerschaftsbeschluss von SPD, GAL und CDU ist gerade mal ein Jahr alt.
Nach „vorläufiger Einschätzung“ des seit Montag emeritierten Juraprofessors an der Uni Hamburg, ehemals SPD-Innenminister in Schleswig-Holstein und Datenschutzbeauftragter des Bundes, hätte die Initiative gegen die Wiederöffnung der Strese vor Gericht keine schlechten Erfolgsaussichten. Die Ini wollte gestern abend zusammen mit Rechtsexperten über ihr Vorgehen beraten, so Ini-Sprecherin Sigrid Lemke. Juristische Schritte schloss sie nicht aus.
CDU, Schill und FDP hatten am Donnerstag Abend formal für das Bürgerbegehren gestimmt, welches sie politisch ablehnen. Denn die Rücknahme der Verkehrsberuhigung in der Strese gehört zu den wichtigsten verkehrspolitischen Vorhaben des Rechtssenats. Da das Bezirksparlament sich mehrheitlich nunmehr offiziell dem Begehren anschloss, wird die nächstfolgende Stufe des Bürgerentscheids verhindert (taz berichtete). Und damit bliebe es faktisch bei den Plänen von Schill-Verkehrssenator Mario Mettbach.
Das lässt natürlich auch die Opposition nicht ruhen. Als vermutlich „rechtlich nicht beachtenswert“ klassifiziert SPD-Parteichef Olaf Scholz, selbst Jurist, die Abstimmung in Altona. Diese sei „das Ergebnis von Bürgerferne und Angst vor inhaltlicher Auseinandersetzung“. Die SPD will das Altonaer Ja, das Nein meint, nun „von einem namhaften Verfassungsrechtler überprüfen lassen“.
Dass der Gutachter womöglich Bull heißen könnte, dazu wollten weder dieser noch SPD-Sprecher Christoph Holstein Stellung nehmen: „Es gibt noch keinen Namen zu nennen“, wortkargt Holstein. Auch die Grünen werten das Aushebeln des Bürgerwillens durch Schwarz-Schill-Altona, so Fraktionschefin Krista Sager, „als Schlag gegen demokratische Entscheidungsprozesse“. Deshalb schließt auch sie „eine Untersuchung durch Verfassungsexperten“ nicht aus. Denn die „Zweifel an der rechtlichen Gültigkeit“ des Bezirksvotums, so Sager, „liegen ja wohl auf der Hand“.
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