: Vereinigte Staaten der Welt
Die USA als Träger der Weltpolizei – das ist jenseits aller gängigen Vorstellungen.Dabei würde sich die Herrschaft der UNO von einer Pax Americana kaum unterscheiden
Alle sind dagegen, dass sich die USA so dreist das atomare Erstschlagsrecht anmaßen, alle sind dagegen, dass die USA so frech die völkerrechtlichen Regeln missachten, alle sind dagegen, dass die USA so arrogant das Recht des Stärkeren in der freien Wildbahn ausüben. Aber keiner schreit auf. Was hier passiert, stellt doch alle bisherigen amerikanischen Exzesse in den Schatten!
Vor unseren Augen wird die Weltordnung aufgelöst. Ein allen Mächten überlegener, durch keine Balance ausgeglichener Weltherrscher richtet sich auf. Er zermalmt die Verständigungen der Völker unter seinen Füßen und tritt auf wie der Leviathan: „Aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. Aus seiner Nase geht Rauch wie von heißen Töpfen und Kesseln. Auf seinem Halse wohnt die Stärke und vor ihm her hüpft die Angst.“ Mit diesem Monster hat der Philosoph Thomas Hobbes den Nationalstaat verglichen, der sich gegen die gesellschaftlichen Teilgewalten durchsetzte. Ein noch größeres Monster, der Welt-Leviathan, erhebt sich jetzt.
Ich meine: Der Protest ist deshalb so lahm, weil die Gegner dieser Entwicklung sie insgeheim für unumgänglich halten. Damit haben sie Recht. In solcher Lage wäre es sinnvoll, dass sie sich umstellten, dass sie sich dem Prozess anpassten und versuchten, das Beste daraus zu machen. Das können sie aber nicht, weil ihnen kein Konzept zur Verfügung steht, das ihnen das erlaubt. Sie sehen zwar die unausweichliche Durchsetzung der amerikanischen Welthegemonie, kennen aber kein Konzept, in das eine Pax Americana hineinpasst.
Die kritische Öffentlichkeit ist zwar endlich bei der Auffassung angekommen, dass nur die zentrale Verfügung über Waffengewalt der Welt noch helfen kann; sie hat endlich die Angst vor der Weltpolizei hinter sich gelassen und setzt endlich auf die UNO. (Das ist ihr angesichts der dezentralen Tendenzen des postmodernen Bewusstseins schwer genug gefallen.) Sie weist jetzt der UNO die weltpolizeiliche Aufgabe zu, ohne Rücksicht auf nationale Souveränitäten die Menschenrechtsbewahrung militärisch durchzusetzen. Auf diese Weise hat sie zwar endlich ein Konzept, das sie der amerikanischen Hegemonie entgegenhalten kann; es steckt aber wenig Kraft dahinter, weil die UNO offensichtlich gar keine Chance hat, sich gegen die USA durchzusetzen.
Der Gedanke aber, sich auf den amerikanischen Leviathan als Träger der Weltpolizei einzustellen, liegt dem Zeitgeist völlig fern. Als Christian Semler neulich die Umwandlung der UNO verlangte, brachte er zwar klar zum Ausdruck, dass sie keine Machtmittel habe und auch keine bekommen würde. Aber: „Eine bessere völkerrechtlich legitimierte Instanz existiert nun mal nicht.“ Das stimmt zwar. Es stellt sich aber die Frage: Trifft man die richtige Entscheidung, wenn man lieber auf das aussichtslose, aber legitime Unternehmen: die UNO, als auf das aussichtsreiche, aber illegitime: die Pax Americana, setzt?
Man macht sich bisher über den Charakter des bevorzugten legitimen Projekts – die UNO als Weltexekutive – wenig Gedanken (was konsequent ist, da man es für aussichtslos hält). Machte man sich aber mehr Gedanken darüber, so stieße man auf die Frage: Würde eine perfekt durchgeführte UNO-Herrschaft sehr viel anders aussehen als eine perfekt durchgeführte Pax Americana? Würde eine die Gewalt zentralisierende Welt-Verfassung sich nicht sinnvollerweise an der Verfassung der Vereinigten Staaten als einzig gelungener demokratischer Großorganisation orientieren? Kämen bei diesem Projekt am Ende vielleicht nichts anderes heraus als die „Vereinigten Staaten der Welt“?
Im Praktischen ist die Frage zu durchdenken: Sollte die UNO atomar bewaffnet sein, sollte sie womöglich über Baby Nukes verfügen und diese womöglich auch gegen nicht atomare Massenvernichtungsmittel einsetzen dürfen? Tatsächlich müsste man der UNO, wollte man ihr die Weltpolizei in die Hände legen, diese Mittel in die Hand geben. Wie anders sollte sie ihren Anspruch auf das Welt-Gewaltmonopol durchsetzen? Solange irgendwo auf der Welt noch Massenvernichtungsmittel im Umlauf sind, muss die Weltpolizei sie durch die stärkere Waffe überbieten.
Eine Polizeigewalt ist nicht anders zu denken denn als Inhaberin der allen Kräften überlegenen physischen Gewalt. Nehmen wir die Polizei im Nationalstaat: Selbstverständlich verfügt sie – zumal ihr im Extremfall die Bundeswehr zu Hilfe kommt – über ein den illegalen gesellschaftlichen Gewaltpotenzialen überlegenes Waffenarsenal. Entsprechend müsste die UNO ausgestattet sein: mit Mitteln, die im Endeffekt ziemlich ähnlich aussehen würden wie diejenigen, die die USA jetzt für ihre Durchsetzung verwenden. Die Verkleinerung der Atombombe in Baby Nukes käme der neuen polizeilichen Zielsetzung entgegen: dem Ziel der Entwaffnung der Welt, den die UNO einleiten müsste. Denn der Stand der atomaren Bewaffnung der Weltpolizei kann nur in dem Maße sinken, in dem die Entwaffnung des Restes der Welt erfolgreich war.
Je genauer man sich die UNO-Weltpolizei ausmalt, je konkreter man sich die Art und Weise ihrer möglichen Durchsetzung vorstellt, desto mehr kommt man zu der Einsicht, dass die Alternative – Amerika als Weltpolizei – bis auf die Tatsache der illegitimen Herkunft gar nicht so sehr von dem UNO-Modell abweicht. Angesichts der Tatsache, dass dieses alternative Modell allein aussichtsreich ist: Warum sollte der Leviathan – wenn sein Hauptproblem die mangelnde Legititimität ist – nicht durch die Welt legitimiert werden?
Das ist nicht so utopisch, wie es klingt. Am 12. September, als fast alle Völker der Erde den USA grünes Licht für ihren War against Terror gaben, am 12. September, als auch die UN-Generalversammlung zu ihren Gunsten das Völkerrecht aushebelte, haben die USA – wenn auch nur für einen historischen Moment – die legitime Weltpolizei-Gewalt in den Händen gehalten. Nur der Irak war nicht von der Partie. Es ist deshalb konsequent, dass Sadam Hussein jetzt ganz zentral und prototypisch unter amerikanischer Bedrohung steht. Der Leviathan muss in erster Linie gegen denjenigen schnauben, der im entscheidenden Moment gegen seine Macht rebelliert hat. Entsprechendes aber müsste die UNO in ihrer neuen Rolle auch tun.
Die Durchsetzung der Pax Americana ist friedlich nicht denkbar. Noch weniger friedlich aber ist der Versuch, das Welt-Gewaltmonopol von den USA auf die UNO hinüberzuziehen, zu denken. Wenn man die Bildung einer autonomen Welt-Polizei für unumgänglich hält, sollte man den am 12. September angebahnten, friedlichen Weg versuchen. Man sollte die USA mit der Anforderung konfrontieren, ihre informelle Weltherrschaft zu formalisieren und im Sinne der universalen westlichen Werte zu demokratisieren. Wenn sie „Nein“ sagen, verlieren sie ihr Gesicht. Auch dann ist die Welt einen Schritt weitergekommen.
SIBYLLE TÖNNIES
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