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Arafat in Abschiebehaft

Reisefreiheit – in eine einzige Richtung: Scharon möchte den Palästinenserführer ins Exil schicken. Der aber mag Ramallah nicht freiwillig verlassen

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Ein „One-way-ticket“ stellte Israels Premierminister in einem Gespräch mit dem europäischen Nahostbeauftragten Miguel Moratinos für Palästinenserführer Jassir Arafat in Aussicht. Arafat solle Reisefreiheit bekommen, allerdings nur in eine Richtung. Einem Treffen zwischen dem EU-Beauftragten und Arafat stünde nichts im Wege, verlautete aus Regierungskreisen, solange es nur diesem Zweck dient und Moratinos Arafat auf seiner Reise ins Ausland begleitet. Seit vergangenem Freitag dürfen keine Ausländer mehr in die Stadt Ramallah einreisen. Die Bitte von Moratinos, dem russischen Sonderbeauftragten Andrej Wdowin sowie dem UN-Beauftragten Terje Larsen, ein Treffen mit Arafat zu erlauben, lehnten die Israelis ab. Außenminister Schimon Peres bemüht sich angeblich gegenwärtig, ein Land zu finden, das Arafat Asyl gewähren würde.

Der Palästinenserführer, der den israelischen Vorschlag bis zum Abend unkommentiert ließ, war bereits aus Sorge vor einem Rückkehrverbot nicht zu dem Gipfel der Arabischen Liga Ende März in Beirut gereist. Eine freiwillige Ausreise steht für Arafat nicht zur Debatte. Stattdessen wiederholte er mehrfach seinen Wunsch, als „Märtyrer für Jerusalem“ sterben zu wollen.

Am fünften Tag der Belagerung in Ramallah wurde die Ausgangssperre für einige Stunden ausgesetzt, um der Bevölkerung zu ermöglichen, sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Am Morgen feuerten Soldaten mit Panzergranaten und Raketen der Luftwaffen auf das Hauptquartier von Dschibril Radschub, des Chefs des Präventiven Sicherheitsdienstes im Westjordanland. Radschub ist Mitglied der Sicherheitskommission, mit der der israelische Schabak-Chef Awi Dichter auf Vermittlung des US-Sonderbeauftragten Anthony Zinni wiederholt zusammengetroffen war, um Maßnahmen zur Beruhigung der Lage zu vereinbaren. Er gilt als einer der moderaten palästinensischen Stimmen. Die Armee begründete den massiven Beschuss seines Amtssitzes mit der Vermutung, dass sich in dem Gebäude gesuchte Terroristen aufhalten, was Radschub indes strikt abstreitet.

Der ebenfalls eher dem moderaten palästinensischen Lager angehörende Marwan Barghuti, Chef der Fatach im Westjordanland, ist seit jüngstem der „meist gesuchte Mann“ in den wiederbesetzten Gebieten. Das erklärte Generalmajor Jitzhak Eitan, Kommandant der Zentralregion, in einem Gespräch mit der liberalen Tageszeitung Haaretz. Noch vor wenigen Tagen hatte kein geringerer als Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar über Marwan Barghuti gesagt, er sei als Verhandlungspartner anstelle von Arafat denkbar, sobald die Gewalt erst einmal eingedämmt sei. Barghuti war stets Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung. Zwar hatte er sich vehement für den Widerstand gegen die Besatzung in den palästinensischen Gebieten stark gemacht; den Terror im israelischen Kernland lehnte er jedoch ab. Allerdings hatte er vor kurzem in einem Fernsehinterview erklärt, dass sich „die Israelis nicht zu wundern brauchen“, wenn nach der massiven Belagerung durch israelische Soldaten „Palästinenser umgekehrt auch zu ihnen kommen“.

Der Chef der Fatach-Organisation, Tansim, wird bereits seit einigen Wochen von der Armee gesucht. Nach Vermutungen der Armee hält sich Barghuti in Beitunia auf, einem Vorort von Ramallah, wo der Präventive Sicherheitsdienst weitere Bürogebäude unterhält. Auf der Liste der von Israel Gesuchten sollen zudem die Namen von mehreren Sicherheitschefs stehen. Offenbar plant Ariel Scharon ein systematisches Aufbrechen der palästinensischen Führung. Beobachter fürchten bereits, dass die Nutznießer des dadurch geschaffenen Vakuums vor allem die islamisch-fundamentalistischen Oppositionsbewegungen sein werden.

Heftige Gefechte fanden auch in Tulkarem und Bethlehem statt, wo die Soldaten bis auf den Platz vor der Geburtskirche vordrangen. Im Kugelhagel starb ein italienischer Mönch. Ron Kitri, Sprecher der Armee, bedauerte den Vorfall. Er betonte, dass die Anweisungen an die Soldaten klar seien: „Wer keine Waffe trägt und uns nicht angreift, bleibt verschont.“ Die Armee habe „kein Interesse daran, Zivilisten zu töten, weder ausländische noch palästinensische“.

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