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Jenseits der Grenzen

Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge schrieb ein Buch, das viel zitiert und weniger viel gelesen wird  ■ Von Kaija Kutter

Die meisten Leute, so klagt Jan-Uwe Rogge, kaufen seine Bücher, aber lesen sie nicht. „Kinder brauchen Grenzen“, der Titel seines 1993 erschienenen Klassikers, ist über die Grenzen der Republik berühmt. Und schwingt auch heute noch mit, wenn Politiker Strafmaßnahmen für Schüler oder geschlossene Heime ankündigen.

Derartiges hat der bei Hamburg lebende Familientherapeut nicht im Sinn gehabt. Wer seine Bücher liest, weis das. Wer einmal einer seiner Lesungen gelauscht hat, wie er sie am Dienstag abend in Rahlstedt abhielt, ist für alle Zeiten ein Fan. Denn statt eines nüchternen Vortrags gibt es Comedy pur.

Dabei schont der Experte seine Zuschauer - überwiegend Mütter - nicht. „Kinder auf dem Spielplatz sind wie Affen im Zoo. Nur statt mit Bananan füttern Mütter sie mit Ratschlägen: Timm, lass den Sand fallen, Julia komm da runter“. Die heutigen Eltern, so Rogge, litten darunter, alles bestimmen zu wollen. Eine Einjährige muss schon zur Krabbelgruppe zum „richtig schön spielen“, weil sie sonst autistisch wird. Kommen die Kinder in der Kindergarten - Rogge droht mit dem Finger - „ist Schluß mit spielen, Pisa, Pisa, Pisa“.

Eigentlich, so lobt er, machten die heutigen Eltern ihren Erziehungsjob gut. „Das ständige Geschrei über Erziehungskatastrophen nimmt sie nicht ernst.“ Auch dass Kinder heute mit mehr Freiheiten erzogen werden, sei gut. Rogge: „Ich hoffe, dass da nichts rückgängig gemacht wird“. Kinder wollten aber auch Verantwortung übernehmen.

Der Berater schwärmt von der Zeit vor 30 Jahren, als die drei Säulen der Erziehung - Eltern, Großeltern, Kinder - noch nebeneinander her existierten. „Man kümmerte sich nicht darum, was in den anderen Säulen passierte“. Heute dagegen versuchten die Eltern, die Großeltern gleich mit zu erziehen: „Wenn sie ihr Kind abgegeben, geben sie einen Saft mit, damit das Kind blos keine Cola trinkt“. Dabei sei es nicht nötig, dass Mama und Oma an einem Strang ziehen. Rogge: „Kinder lieben die Unterschiedlichkeit von Erziehung“. Durchwurschteln macht Lebenstüchtig.

So auch die Erziehung durch Kinder. Rogge: „Früher gab es hinter Büschen und Wäldern eine Kinderrepublik. Dort gab es Regeln, Grenzen und Rituale. Das war nicht demokratisch, aber klar“. Heute säße hinter jedem Busch eine Mutter, die aufpasst. Rogge: „Es gibt ein wunderschönes Leben jenseits von Vater und Mutter“. Die sollte man Kindern nicht verwehren.

Der Autor, den die Zuhörer zum Schluß mit Fragen behelligten, plädiert für einen spielerischen Umgang mit Grenzen. Der Mutter, deren Tochter partout im Schlafanzug zum Kindergarten will, rät er, das Wort „Anziehen“ einen Monat lang nicht in den Mund zu nehmen. Die Mutter, deren Tochter das Zähneputzen verweigert, soll ebefalls vier Wochen lang die Ermahnungen lassen. Darauf die Mutter: „Das mach ich ja schon manchmal. Je nach dem wie ich drauf bin“. Darauf Rogge: „'Wie ich drauf bin'. Das ist ganz genau das Thema“.

Infos: www.jan-uwe-rogge.de

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