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Jukebox, dritter Stock links

Auf den ersten Blick Puppenhaus, auf den zweiten Vexierbilder von Warenwelten und Weltarchitekturen: Der kongolesische Künstler Bodys Isek Kingelez begegnet der Stadt mit fröhlichem Eklektizismus. Seine Versionen von Urbanität zeigt die Münchner Villa Stuck mit der Ausstellung „Extreme Modelle“

von BARBARA HÄUSLER

Architekturmodelle haben in der Regel etwas zutiefst Rätselhaftes und gleichzeitig Verheißungsvolles, trotz oder manchmal gerade wegen ihrer Aufgeräumtheit und Klarheit. Der Betrachter klopft sie zunächst ab auf ihre Ästhetik und Funktionaliät und beginnt sie sich schließlich als mögliche Lebenswelten vorzustellen – insgesamt also ein ziemlich komplexer Vorgang, der eine Menge Empathie, Konkretisierungs- und Abstraktionsvermögen erfordert.

Das gilt auch für die Architekturmodelle von Bodys Isek Kingelez, 1948 in Kongo/Zaire geboren. Der Autodidakt, laut eigener Berufsbezeichnung „Maquettiste“, Modellbauer, ist inzwischen einer der bekanntesten Künstler Afrikas. In den 80er-Jahren arbeitete er als Restaurator für Masken am National-Museum in Kinshasa, wo er sich die Techniken für seine Arbeit aneignete und seine ersten Architekturmodelle baute. Bis 1989 hat er Afrika nie verlassen. Doch in jenem Jahr begann mit der Teilnahme an der großen Schau „Magiciens de la Terre“ im Pariser Centre Pompidou seine internationale Karriere mit Stationen in den USA, Großbritannien, Australien, Spanien und Deutschland.

Siebzehn Einzelstücke und drei große Stadtlandschaften werden derzeit in München gezeigt. Die Bezeichnung „Extreme Modelle“ darf dabei durchaus als Programm verstanden werden: Die fantastischen, detailreichen, bonbonbunten, akribisch ornamental verzierten Häuser und Stadtlandschaften aus Pappe, Sperrholz, Verpackungsteilen und Fundstücken sind Anschauungsmaterial für Stunden. Nur im ersten Moment mag man noch glauben, sich in ein Spezialgeschäft für ausgefallene Puppenhäuser verlaufen zu haben. Schon der zweite Blick korrigiert das durchaus Spielzeughafte der teilweise bis 1.30 Meter hohen Modelle als ein wohl durchdachtes Vexierbild von westlichen Warenwelten und, ja, Weltarchitekturen.

In einem fröhlichen Eklektizimus nimmt Kingelez für seine Modelle Anleihen bei Formen und Architekturstilen aus allen Zeiten – und allen erdenklichen Bereichen: Da gibt es Gebäude, die an Lottotrommeln oder Spielautomaten erinnern, dort steht ein Wolkenkratzer neben einer Jukebox, hier ein Modell der klassischen Moderne neben einer aztekischen Pyramide, und auch der sozialistische Zuckerbäckerstil darf nicht fehlen. Absichtsvoll montiert Kingelez diese Einzelmodelle zu Stadtlandschaften von spannungsreicher Eintracht.

Kingelez’ Arbeiten haben in ihrer Akribie und Üppigkeit nur scheinbar etwas Naives oder Obsessives, dafür ist allein schon die Formensprache zu präzise. In seinen im Katalog dokumentierten Kommentaren und Erklärungen der Modelle, von denen die meisten einen Namen und eine klare Funktionszuweisung haben, erläutert er seine Vision: Es geht ihm stets um Verbesserung, Verschönerung und Demokratisierung der städtischen Lebenswelt. Aber lösen die Modelle diesen Anspruch wirklich ein? Die Ausstellungsmacher scheinen es zu glauben und gehen mit ihrer Interpretation noch einen Schritt weiter: „Er steht für eine Erneuerung der Moderne – für die Überwindung der Dissonanzen moderner Lebenswelten aus dem Geist der Kunst.“ Doch auch dieser Kuratoren-Prosa ist nicht umstandslos zu glauben. Jedem Stadtplaner, der ernsthaft derartige „Visionen“ zum Vorschlag brächte, würde man nämlich etwas husten.

Denn schaut man sich Kingelez’ Gebäude und Stadtlandschaften etwas genauer an, entdeckt man einige Belege für eine kalkulierte Unwirtlichkeit, die an vielen Details ablesbar ist: So haben etliche der Gebäude keinen sichtbaren oder nachvollziehbaren Zugang; Rampen, Straßen, Gleise und Brücken enden im Nichts, sind also funktionslos. Fraglich ist auch, ob man in der Jukebox, sagen wir dritter Stock links, wirklich leben wollte. Denn alle Häuser, die offenbar zum Wohnen vorgesehen sind, haben etwas entschieden Hermetisches, die Fenster sind klein, Balkone gibt es nicht, und irgendwie stellt man sie sich im Inneren wie jene globalen Wohnmaschinen vor mit verschmierten Hauseingängen und Aufzügen, in denen kleine Kinder nicht an die Knöpfe kommen.

Zu Fuß möchte man eigentlich auch nicht so gerne unterwegs sein: Die Freizeit findet überwiegend in Sälen statt, in Casinos, Stadien, Theatern etc. Schwimmbäder finden sich dagegen reichlich, ansonsten kommt Natur nur recht spärlich in Form gemalter Rabatten vor. Allein die „Internationale Universität der Konsequenzen“ würde man gerne besuchen: An ihr werden nützlicherweise „nur die Gründe für Niederlagen gelehrt“,um diese „zu eliminieren“.

Bis diese Universität Wirklichkeit wird, reicht es durchaus, die Objekte zu erkunden und sich einen eigenen Reim auf ihre Bedeutung und Wirkungsmacht zu machen. Und so einer sehr subjektiven, zuweilen subversiven und träumerischen, kritischen und ironischen Version von Urbanität auf die Spur zu kommen.

„Bodys Isek Kingelez – Extreme Modelle“. Museum Villa Stuck, München. Bis 28. April. Katalog: 19,50 €

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