: „Bald zahlreiche Fälle für den Gerichtshof“
Jan C. Harder, NGO-Vertreter in New York, hat keine Angst, dass der Internationale Strafgerichtshof schon bald in Vergessenheit gerät. Er prophezeit, dass sich das Gericht nach einer Anlaufzeit bald mit zahlreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen wird
taz: Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs ist sicher ein großer Erfolg. Aber wird die Welt nicht enttäuscht sein, dass jetzt erst einmal gar nichts passiert?
Jan C. Harder: Ich denke, die Öffentlichkeit versteht, dass es einige Zeit dauern wird, bis 18 Richter gewählt, ein neues Gebäude bezogen sowie mehr als 500 Mitarbeiter eingestellt werden. Ich vermute, in etwa 14 bis 16 Monaten ist der Gerichtshof arbeitsfähig.
Aber wird er auch etwas zu tun haben?
Vermeintliche Schurkenstaaten wie der Irak oder Nordkorea haben ja bisher allesamt darauf verzichtet, das Römische Statut zu ratifizieren … Angesichts der Vielzahl weltweiter Brandherde ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich der Gerichtshof bald mit zahlreichen Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen muss. Immerhin haben auch Staaten wie Nigeria und Sierra Leone, in denen zur Zeit bewaffnete Konflikte bestehen, das Römische Statut ratifiziert.
Welche Art von Fällen werden den Gerichtshof am Anfang noch stark beschäftigen?
Die Vertragsstaaten sind eigentlich verpflichtet, Völkermord und ähnliche Verbrechen durch ihre eigenen Justizbehörden zu verfolgen. Das Römische Statut hat dem Internationalen Strafgerichtshof aber die Aufgabe gegeben, für eine einheitliche Anwendung dieser Strafbestimmungen zu sorgen. Als Revisionsinstanz wird der Gerichtshof wohl um so häufiger eine Rolle spielen, je mehr solche Delikte auf nationaler Ebene – auch in Drittstaaten – verfolgt werden.
Für Menschheitsverbrechen in Staaten, die das Statut nicht ratifiziert haben, ist der Gerichtshof aber nie zuständig?
Unter Umständen doch. Denn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann ihn mit der strafrechtlichen Aufarbeitung solcher Vorfälle beauftragen. Bisher musste der Sicherheitsrat in solchen Fällen ein Ad-hoc-Gericht einrichten und hat das für die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda ja auch getan. Jetzt steht der Internationale Strafgerichtshof quasi als ständiges Ad-hoc-Tribunal zur Verfügung.
Was ist, wenn nur die Opfer von Verbrechen gegen die Menschheit aus einem der Staaten kommen, die das Statut bereits ratifiziert haben, zum Beispiel aus Deutschland?
Dann kann nur nationale Justiz, zum Beispiel die deutsche, agieren. Für eine Zuständigkeit des Gerichtshofes genügt diese Konstellation leider nicht. Anders sieht es aber aus, wenn die Verbrechen durch einen Nichtvertragsstaat in einem Vertragsstaat begangen werden, zum Beispiel weil dieser besetzt oder angegriffen wurde.
Das ist die Klausel, vor der auch die USA Angst haben?
Genau. Sie fürchten, über diesen Weg auch für völkerrechtlich umstrittene Aktionen im Ausland verantwortlich gemacht zu werden.
Der bloße Angriffskrieg ist im Römischen Statut aber noch gar nicht erfasst. Sehen Sie eine Möglichkeit, das noch zu ändern?
Ja, die Chancen stehen sogar gut. Bisher ist der Gerichtshof für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen zuständig. Eine Arbeitsgruppe entwickelt derzeit aber auch eine Strafvorschrift für den Tatbestand der Aggression. Dieser neue Tatbestand könnte dann bereits in sieben Jahren bei der ersten Überprüfungskonferenz in das Römische Statut aufgenommen werden.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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