: Ich werde nie vergeben
Der Brite Tom Kay ist in Ramallah eingeschlossen. Aus seinem Internet-Tagebuch
8. April:
Während der dreistündigen Aussetzung der Ausgangssperre verlassen Adah und ich das Haus, wir klettern durch die Trümmer der Stadt. Meine Kamera hat leider schon wieder den Geist aufgegeben, ich werde sie heute Abend reparieren müssen.
Ich bin mit Adah eine Stunde durch die Ruinen der nahe gelegenen Augenklinik gestreift. Ein fünfstöckiges Gebäude: Büros, Untersuchungs- und Behandlungsräume – alle verwüstet. Offensichtlich gibt es genug verrohte israelische Soldaten, die zu so etwas fähig sind. Das Ausmaß der Zerstörung deutet darauf hin, dass Vorgesetzte sie abgesegnet oder befohlen haben müssen. Im Innern der Klinik haben sie alles zertrümmert: die Ausstattung, die Computer, den Buchladen. Ziel war eindeutig das medizinische Versorgungszentrum. Sie waren durch das Nachbargebäude eingebrochen. Dort gibt es einen Schönheitssalon – sie rührten ihn nicht an. Niederträchtig und bösartig.
Was hier geschieht, werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen. Glaube, ich werde nie vergeben können, fühle mich körperlich krank. Seit elf Tagen zerstören sie unaufhörlich die Stadt. Das hat nichts mit dem Kampf gegen einen Feind zu tun. Diese jungen Soldaten wollen die Palästinenser aus Palästina vertreiben.
Wir treffen den Krankenhausdirektor, Mustafa Barghouti. Er schaut und schweigt. Was geschieht hier? Es ist einfach nur barbarisch, wie die Brandschatzung einer Stadt zu biblischer Zeit. Vielleicht übertreibe ich, aber die Absicht ist so offensichtlich.
Einkaufsarkaden, die Eingangstüren herausgebrochen, die Geschäfte – etwa fünf Stockwerke um eine Galerie – verwüstet, sogar der Spielzeugladen. Der Lift von Maschinengewehrsalven zerschossen. Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen, warum. Kinder sammeln Spielzeug auf. Fensterrahmen auf dem Boden und in den Fluren.
Meine israelischen Freunde werden verstehen, warum ich denke, dass es sich bei dieser Invasion nicht nur um einen taktischen Fehler handelt. Die Welt sieht sie als einen kriminellen Akt an, oder sie wird es tun. Man mag vernünftigerweise anmerken, dass das Töten und das Leiden der Verwundeten, wie wir es täglich über den Fernsehsender al-Dschasira sehen, wesentlich schlimmer ist als das, was Tom und Adah sehen. Doch für mich ist es unendlich qualvoll, dort in den Trümmern zu stehen. […]
Als ich abends die Kamera repariere, kommt Imad, der Sohn eines Nachbarn. Ich erzähle ihm, dass ich Jude bin, seine Reaktion ist positiv. Ich beschließe, diesen Umstand nicht länger meiner Umwelt gegenüber zu verschweigen.
Während ich dies schreibe, sind wieder drei Panzergranaten abgefeuert worden. Keine Gewehrsalven. Ein weiteres Werk der Zerstörung ist damit vollendet. TOM KAY
Übersetzung: Matthias Borgmann/Katharina Sacha-Eisleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen